Entscheidungsstichwort (Thema)
Sicherungsverwahrung. Bewährung. Legalprognose. Verhältnismäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
Es fällt nach der eindeutigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 128, 326 ff.) nicht in den Aufgabenbereich des Untergebrachten, sondern vielmehr des Staates, ein ausreichendes Angebot an Einrichtungen (forensische Ambulanzen, Einrichtungen des betreuten Wohnens u.ä.) zu gewährleisten, um entlassene Untergebrachte aufzunehmen, deren erforderliche Betreuung sicherzustellen und damit einen geeigneten sozialen Empfangsraum bieten zu können (sog. Minimierungsgebot).
Vor diesem Hintergrund kann es dem in der Sicherungsverwahrung Untergebrachten im Rahmen der gemäß § 67d Abs. 2 StGB zu treffenden Prognoseentscheidung - auch unter dem Gesichtspunkt des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit - nicht zum Nachteil gereichen, dass seitens der zuständigen staatlichen Stellen bislang - entgegen der eindeutigen Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts - offensichtlich keine hinreichende Vorsorge für eine genügende Ausstattung mit Einrichtungen des struktuierenden und kontrollierten betreuten Wohnens getroffen worden ist, die - bei ansonsten günstiger Prognose - einer fortbestehenden Betreuungs- und Kontrollbedürftigkeit des Untergebrachten und einer erforderlichen Anbindung an ambulante Therapiemaßnahmen außerhalb des Maßregelvollzuges nachhaltig und ausreichend gerecht zu werden vermag.
Normenkette
StGB § 67d Abs. 2, § 66
Verfahrensgang
LG Arnsberg (Aktenzeichen III StVK 831/11) |
Tenor
1
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
2
Die weitere Vollstreckung der durch Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 9. Januar 2001 angeordneten Maßregel der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung wird mit Wirkung zum 1. August 2013 zur Bewährung ausgesetzt.
Die weitergehende sofortige Beschwerde wird verworfen.
3
Mit der Entlassung aus dem Vollzug tritt Führungsaufsicht ein. Die Dauer der Führungsaufsicht beträgt 5 Jahre.
4
Die Bewährungszeit beträgt 5 Jahre.
5
Der Verurteilte wird für die Dauer der Führungsaufsicht der Aufsicht und Leitung des für seinen jeweiligen Wohnort zuständigen hauptamtlichen Bewährungshelfers unterstellt.
6
Die Erteilung von weiteren Weisungen zur näheren Ausgestaltung der Führungsaufsicht wird der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Arnsberg übertragen.
7
Mit der Belehrung über die Bedeutung der Führungsaufsicht, auch über die Folgen eines Verstoßes gegen Auflagen und Weisungen, wird der Leiter der JVA X2 beauftragt.
8
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers trägt die Landeskasse.
Gründe
I.
Mit Urteil vom 9. Januar 2001, rechtskräftig seit dem 11. Juli 2001, verurteilte die III. große Strafkammer - Jugendkammer als Jugendschutzkammer - des Landgerichts Bielefeld den Beschwerdeführer wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in 24 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 8 Jahren. Darüber hinaus ordnete sie dessen Unterbringung in der Sicherungsverwahrung an.
Nach den seinerzeitigen Feststellungen der Strafkammer entstammt der zum gegenwärtigen Zeitpunkt 54 jährige Beschwerdeführer aus weitgehend ungeordneten familiären Verhältnissen und wuchs seit seinem zweiten Lebensjahr in einem von Nonnen geführten Kinderheim auf, dessen Alltag von Strenge und körperlicher Züchtigung geprägt war. Im Alter von 7 oder 8 Jahren wurde er dort selbst Opfer eines sexuellen Übergriffs durch einen männlichen Jugendlichen. Nach der nicht ohne Schwierigkeiten verlaufenen Grundschulzeit besuchte der Verurteilte ab der fünften Klasse eine Sonderschule. Im Anschluss an seine Entlassung aus der Schule begann er zunächst eine Bäckerlehre, die er allerdings nicht erfolgreich zu Ende führte. In der Folgezeit schlossen sich verschiedene, jeweils nicht über einen längeren Zeitraum ausgeübte Tätigkeiten an, unter anderem als Schaustellergehilfe, als Mitglied einer sogenannten "Drückerkolonne" und als Monteur in einem Stahlschränke herstellenden Unternehmen. In der Folgezeit kam es aufgrund zwischenzeitlich eingetretener Straffälligkeit des Verurteilten vorübergehend zur Vollstreckung von Jugend- bzw. Freiheitsstrafe. Phasen einer mehrjährigen Arbeitslosigkeit schlossen sich an. Nach einer im Ergebnis erfolglosen Umschulungsmaßnahme zum Elektroinstallateur erwarb der Verurteilte schließlich den Berufskraftfahrerschein und war sodann in den Jahren vor seiner Verurteilung als Staplerfahrer bzw. als Berufskraftfahrer für verschiedene Arbeitgeber tätig.
Der Verurteilte ist im Vorfeld der vorliegend zugrunde liegenden Verurteilung verschiedentlich zu Jugend- bzw. Freiheitsstrafe verurteilt worden. So verurteilte ihn das Amtsgericht Hagen durch rechtskräftiges Urteil vom 20. Juni 1978 unter anderem wegen Diebstahls in 14 Fällen zu einer Jugendstrafe von 1 Jahr 6 Monaten, deren Vollstreckung im Juli 1979 erledigt war.
Nachdem das Amtsgericht Köln ihn durch rechtskräftiges Urteil vom 10. März 1983 wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von 6 Mo...