Leitsatz (amtlich)
Ein rechtliches Interesse an vorprozessualer Beweissicherung kann im Arzthaftungsrecht ausnahmsweise dann fehlen, wenn bereits die Gutachterkommission keinen Behandlungsfehler festgestellt hat und der Antragsteller dagegen keine Einwendungen erhebt.
Verfahrensgang
LG Bielefeld (Beschluss vom 07.10.2003; Aktenzeichen 4 OH 2/03) |
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsteller.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Der Beschwerdewert wird auf 15.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Der Antragsgegner zu 1) untersuchte den Antragsteller am 5.3.2002 anlässlich eines Hausbesuchs. Am 7.3.2002 verordnete der Antragsgegner zu 1) ein Schmerzmittel. Am 12.3.2002 nahm der Antragsgegner zu 1) in seiner Praxis eine EKG-Untersuchung des Antragstellers vor.
Die Parteien streiten darum, ob der Antragsteller am 5.3.2002 einen Myokardinfarkt erlitten und der Antragsgegner zu 1) dies übersehen habe.
Die Gutachterkommission für ärztliche Haftpflichtfragen bei der Ärztekammer Westfalen-Lippe ist durch Bescheid vom 24.4.2003 zu dem Ergebnis gekommen, dass ein ärztlicher Behandlungsfehler nicht vorliege. Wegen der Einzelheiten der zugrunde liegenden Gutachten des Arztes für Allgemeinmedizin Prof. Dr. W. vom 22.1.2003 und des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. Kluge vom 8.4.2003 wird auf Bl. 13-16 d.A. Bezug genommen.
Das LG hat den Antrag des Antragstellers auf Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens durch den angefochtenen Beschluss zurückgewiesen.
II. Die dagegen gerichtete, gem. § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde ist unbegründet.
Im vorliegenden Fall besteht - ausnahmsweise - kein rechtliches Interesse an der Feststellung der Ursache eines Personenschadens (§ 485 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO).
Auch im Arzthaftungsrecht kann dem Antragsteller ein rechtliches Interesse i.S.v. § 485 Abs. 2 ZPO an der vorprozessualen Beweissicherung allerdings nicht grundsätzlich und nicht ohne Prüfung des Einzelfalles abgesprochen werden (BGH, Beschl. v. 21.1.2003 - VI ZB 51/02, MDR 2003, 590 = BGHReport 2003, 515 = GesR 2003, 171 = NJW 2003, 1741 mit Anm. Weller, BGHReport 2003, 516; Zöller/Herget, 24. Aufl., § 485 Rz. 9). Richtig ist auch, dass das außergerichtliche Schlichtungsverfahren vor den Gutachter- und Schlichtungsstellen der Ärztekammern, welches dem Patienten ebenfalls zur Verfügung steht, vor dem selbständigen Beweisverfahren keinen Vorrang hat und das selbständige Beweisverfahren nicht verdrängt (BGH, Beschl. v. 21.1.2003 - VI ZB 51/02, MDR 2003, 590 = BGHReport 2003, 515 = GesR 2003, 171 = NJW 2003, 1741 mit Anm. Weller, BGHReport 2003, 516). Der Antragsteller war deshalb nicht verpflichtet, vor dem selbständigen Beweisverfahren ein Verfahren vor der Gutachterkommission einzuleiten. Liegt aber - wie im vorliegenden Fall - ein Bescheid der Gutachterkommission vor, ist dieser auch in die Beurteilung der Zulässigkeit des selbständigen Beweisverfahrens einzubeziehen.
Beide Gutachter sind nach Auswertung der Behandlungsdokumentation zu dem Ergebnis gekommen, dass dem Antragsgegner zu 1) kein Behandlungsfehler zur Last zu legen ist. Der Erstgutachter Prof. Dr. W. hat festgestellt, dass der Antragsgegner zu 1) am 5.3.2002 auch ein kardiales Ereignis (z.B. einen Herzinfarkt) mitbedacht habe. Hierfür hätten sich jedoch aufgrund der durchgeführten Untersuchung keinerlei Hinweise gegeben. Im Ruhe-EKG vom 12.3.2002 fänden sich keinerlei Hinweis auf eine akute Durchblutungsstörung des Herzens; es sei unwahrscheinlich, dass der Antragsteller am 5.3.2002 einen Myokardinfarkt erlitten habe. Das deckt sich mit den Feststellungen des Zweitgutachters Dr. K., der anhand der Behandlungsdokumentation zu dem Ergebnis gekommen ist, dass klinische Anzeichen eines Infarkts nicht vorgelegen hätten. Auch das EKG vom 12.3.2002 habe keinen Hinweis auf einen abgelaufenen Infarkt gezeigt.
Selbst im Erkenntnisverfahren kann die Begutachtung durch eine Schlichtungsstelle im Wege des Urkundenbeweises gewürdigt werden, sofern keine Partei mit guten Gründen die mangelnde Sachkunde der gutachtenden Ärzte rügt (BGH v. 19.5.1987 - VI ZR 147/86, MDR 1987, 1018 = NJW 1987, 2300 = VersR 1987, 1091; OLG Düsseldorf AHRS II 2620/166; OLG Köln vom 25.11.1998 - 5 U 132/98, OLGReport Köln 1999, 124 = NJW-RR 1999, 675; Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, 3. Aufl., § 114 Rz. 3; Steffen/Dressler, Arzthaftungsrecht, 9. Aufl., Rz. 625). Für das selbständige Beweisverfahren ist kein Unterschied zu machen. Vor diesem Hintergrund fehlt dem Antragsteller das rechtliche Interesse an einer Begutachtung im selbständigen Beweisverfahren. Er zieht die Begutachtung durch die Gutachterkommission nicht in Zweifel. Auch ein weiterer Sachverständiger würde die Behandlungsdokumentation auszuwerten haben. Eine körperliche Untersuchung des Antragstellers verspricht - bezogen auf den Zeitraum zwischen dem 5. 3. und 12.3.2002 - keine weiteren Erkenntnisse.
Die Kostenentscheidung beruht a...