Leitsatz (amtlich)
Zum Begriff des Rechtsstreits i.S.v. § 486 Abs. 1 ZPO.
Verfahrensgang
LG Münster (Beschluss vom 16.12.2003; Aktenzeichen 11 OH 1003/03) |
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragstellerin.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Der Beschwerdewert wird auf bis zu 6.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Nach einer Zahnbehandlung in den Jahren 2002/2003 hat der Antragsgegner wegen eines Resthonoraranspruchs von 3.779,09 Euro am 3.9.2003 das Mahnverfahren gegen die Antragstellerin beantragt. Das Verfahren wurde an das AG Bocholt abgegeben. Die Antragstellerin beruft sich in diesem Verfahren u.a. im Rahmen eines "Zurückbehaltungsrechts" darauf, dass der Zahnersatz nicht ordnungsgemäß angefertigt worden sei. Die Antragstellerin hat am 3.11.2003 einen Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens bei dem LG Münster gestellt. Das LG hat den Antrag durch den angefochtenen Beschluss zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen darauf abgestellt, dass über die in dem Antrag aufgeworfenen Fragen bereits ein Rechtsstreit vor dem AG Bocholt anhängig sei.
II. Die gem. § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist unbegründet.
Im vorliegenden Fall kommt es nicht darauf an, ob ein rechtliches Interesse an der Feststellung des Zustandes einer Person oder der Ursache eines Personenschadens besteht (§ 485 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und 2, S. 2 ZPO). Mit dem Beschluss des BGH v. 21.1.2003 (BGH, Beschl. v. 21.1.2003 - VI ZB 51/02, MDR 2003, 590 = BGHReport 2003, 515 = GesR 2003, 171), der die Frage des rechtlichen Interesses an der Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens betrifft, hatte sich der Senat im vorliegenden Einzelfall nicht auseinanderzusetzen.
Der Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens ist gem. § 486 Abs. 1 ZPO bei dem Prozessgericht zu stellen, wenn ein Rechtsstreit über die Hauptsache bereits anhängig ist. Gericht der Hauptsache ist hier nicht das LG Münster, sondern das AG Bocholt. Der Begriff des Rechtsstreits ist weit zu verstehen. Um einen Rechtsstreit in der Hauptsache handelt es sich nicht nur bei einer Klage des Antragstellers, sondern bereits dann, wenn nach der Vorstellung des Antragstellers die festzustellende Tatsache im anhängigen Prozess einen Beweiswert haben soll. Es genügt, wenn sich der Antragsteller des selbständigen Beweisverfahrens in jenem Prozess mit dem Sachverhalt verteidigt, der im selbständigen Beweisverfahren geklärt werden soll. § 486 Abs. 1 ZPO verlangt anders als § 494a Abs. 1 ZPO bereits nach seinem Wortlaut keine Klage des Antragstellers, sondern lässt einen anhängigen Rechtsstreit ausreichen. Das selbständige Beweisverfahren erfüllt keinen Selbstzweck, sondern dient dazu, zusätzliche Prozesse, die sich auf dieselben Streitgegenstände beziehen, nach Möglichkeit zu vermeiden (OLG Hamm vom 29.7.1997 - 21 W 15/97, OLGReport Hamm 1997, 299 [300]). Diesen Zweck kann es nicht mehr erfüllen, wenn die Beweisfrage bereits in einem anhängigen Rechtsstreit unter den Parteien geklärt werden soll. Auch ein Verfahren, in dem der Gegenstand des selbständigen Beweisverfahrens nur einredeweise geltend gemacht wird, ist vor diesem Hintergrund ein Hauptsacheverfahren im Sinne der Regelungen des selbständigen Beweisverfahrens (OLG Naumburg vom 14.1.2003 - 7 W 26/02, OLGReport Naumburg 2003, 272; OLG Köln vom 9.6.1999 - 17 W 241/98, OLGReport Köln 1999, 323 = NJW-RR 2000, 361; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 21. Aufl., § 485 Rz. 13).
Die Antragstellerin hat erklärt, sich im Honorarstreit vor dem AG Bocholt jedenfalls u.a. mit einem "Zurückbehaltungsrecht" wegen angeblicher Behandlungsfehler zu verteidigen. Es bedarf an dieser Stelle keiner Entscheidung, ob es sich tatsächlich um ein Zurückbehaltungsrecht, eine (Hilfs-) Aufrechnung, eine "dolo-agit"-Einrede aus § 242 BGB oder um einen Freistellungsanspruch aus § 280 Abs. 1 BGB n.F. handelt (vgl. dazu Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht aktuell, S. 426; Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, 3. Aufl., § 39 Rz. 23). Jedenfalls macht die Antragstellerin im Honorarstreit vor dem AG Bocholt u.a. geltend, der Zahnersatz sei nicht ordnungsgemäß erstellt worden. Die gleichzeitige Klärung dieser Frage in einem selbständigen Beweisverfahren bei einem anderen Gericht ist gem. § 486 Abs. 1 ZPO unzulässig.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.
Fundstellen
Haufe-Index 1170131 |
OLGR Hamm 2004, 278 |