Entscheidungsstichwort (Thema)
Prozesskostenhilfe für Ehescheidungsverfahren: Anspruch eines Ehemannes marokkanischer Staatsangehörigkeit bei einer nach marokkanischem Recht zu scheidenden Ehe. Islamische Verstoßensentscheidung und deutscher ordre public
Leitsatz (amtlich)
Bei der Frage, ob im Rahmen einer islamisch geprägten Rechtsordnung die Vorschriften über die "Verstoßung" (talaq) wegen Unvereinbarkeit mit dem deutschen ordre public unanwendbar sind, kommt es auf die konkreten Umstände des Einzelfalls an (BGH v. 6.10.2004 - XII ZR 225/01, MDR 2005, 149 = FamRZ 2004, 1952, 1955).
Liegt eine Unvereinbarkeit vor, ist zunächst zu prüfen, ob sich die entstehende Gesetzeslücke durch die Grundsätze der primär berufenen fremden Rechtsordnung schließen lässt. Erst danach sind hilfsweise die deutschen Sachvorschriften anzuwenden.
Normenkette
ZPO §§ 114, 606a Abs. 1 Ziff. 2; EGBGB Art. 14 Abs. 1, Art. 17 Abs. 1 S. 1; VO Nr. 2201/2003 Art. 3
Verfahrensgang
AG Bottrop (Beschluss vom 21.09.2009; Aktenzeichen 19 F 164/09) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers vom 6.10.2009 wird der Beschluss des AG - Familiengericht - Bottrop vom 21.9.2009 abgeändert:
Dem Antragsteller wird unter Beiordnung von Rechtsanwalt N aus C für die 1. Instanz ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt.
Gründe
A. Das Rechtsmittel des Antragstellers vom 6.10.2009 ist als sofortige Beschwerde nach § 127 II S. 2 ZPO statthaft.
Es ist zulässig, insb. fristgerecht gem. § 127 II S. 3 ZPO eingelegt worden.
In der Sache ist die sofortige Beschwerde begründet.
Eine hinreichende Erfolgsaussicht i.S.v. § 114 S. 1 ZPO für den angekündigten Antrag des Antragstellers auf Scheidung der Ehe zwischen den Parteien liegt vor.
1. Zutreffend weist das AG darauf hin, dass grundsätzlich die marokkanischen Sachvorschriften anzuwenden sind.
Die Art. 17 I S. 1, 14 Ziff. 1 EGBGB verweisen wegen der übereinstimmenden Heimatstaatsangehörigkeit der Parteien auf die marokkanische Rechtsordnung einschließlich des dortigen Internationalen Privatrechtes (Art. 3a I EGBGB). Diese Gesamtverweisung wird vom marokkanischen Recht angenommen, welches im Bereich der Ehescheidung seinerseits an die Staatsangehörigkeit der Parteien anknüpft (vgl. OLG Hamm v. 18.8.1994 - 4 WF 307/94, FamRZ 1996, 731 = IPRax 1995, 174, 175; Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Länderteil Marokko, S. 10 f.).
2. Die Voraussetzungen der Art. 53 ff. des marokkanischen Gesetzbuches des Personen- und Erbrechts vom 10.9.1993 (abgedruckt bei Bergmann/Ferid, Internationales Ehe - und Kindschaftsrecht, Länderteil Marokko), welche die Ehescheidung regeln, sind nach summarischer Prüfung nicht erfüllt.
Einerseits behalten diese Regelungen die Beantragung einer Ehescheidung ausschließlich der Ehefrau vor (vgl. OLG Hamm, IPrax 1995, 174, 175). Andererseits ermöglichen sie - anders als die deutschen Sachvorschriften - eine Auflösung des Ehebandes allein nach Ablauf eines Trennungsjahres nicht.
3. Allerdings hat der Antragsteller nach seinem ergänzenden Vortrag im Schriftsatz vom 25.1.2010 der Antragsgegnerin ggü. bereits am 19.6.2008 dreimal deutlich die sog. "Verstoßung" (talaq) ausgesprochen. Dadurch hat er die Voraussetzungen für eine einseitige Lossagung nach den Art. 44 ff. des marokkanischen Gesetzbuches des Personen- und Erbrechts erfüllt, wonach eine Verstoßung der Ehefrau durch den Ehemann "mit klaren Worten" mündlich oder schriftlich erfolgen kann.
a) Die Auffassung des AG, wonach die Art. 44 ff. des marokkanischen Gesetzbuches des Personen- und Erbrechts wegen Verletzung des deutschen ordre public nach Art. 6 EGBGB grundsätzlich unanwendbar seien, dürfte im Hinblick auf die höchstrichterliche Rechtsprechung zweifelhaft sein (vgl. für eine "Verstoßung" nach iranischem Recht: BGH, Urt. v. 6.10.2004, Az: XII ZR 225/01, FamRZ 2004, 1952, Juris, Rz. 41). Im Rahmen der gebotenen Einzelfallprüfung ist vorliegend insb. zu berücksichtigen, dass einerseits die im Rahmen des "talaq" benachteiligte Ehefrau einer Auflösung des Ehebandes ausdrücklich zustimmt und andererseits die Ehe zwischen den Parteien wegen der Zustimmung der Antragsgegnerin und einer mehr als einjährigen Trennung der Parteien auch nach den deutschen Sachvorschriften (§§ 1565 I, 1566 I BGB) zu scheiden wäre (vgl. BGH, a.a.O.).
b) Sollte das AG die Art. 44 ff. des marokkanischen Gesetzbuches des Personen- und Erbrechts nach wie vor für unanwendbar erachten, wird es zunächst versuchen müssen, die entstehende Gesetzeslücke durch die Grundsätze des primär berufenen marokkanischen Familienrechts zu schließen (vgl. BGH, Beschl. v. 14.10.1992, Az: XII ZB 18/92, FamRZ 1993, 316, Juris, Rz. 21; OLG Düsseldorf FamRZ 1998, 1113 [1114]; Palandt-Thorn, Bürgerliches Gesetzbuch, 69. Aufl., Art. 6 EGBGB, Rz. 13). Hilfsweise wird es auf die deutschen Sachvorschriften zurückzugreifen haben (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 24.10.1996, Az: 7 WF 95/96, OLGReport 1997, 65, Juris, Rz. 7), wonach - wie oben aufgezeigt - ebenfalls eine hinreichende Erfolgsau...