Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankheitskostenversicherung, Prämienanpassung: Geheimhaltungsanordnung nach § 172 Nr. 2 GVG
Leitsatz (amtlich)
Die Schutzbedürftigkeit von Geschäftsgeheimnissen kann zu bejahen sein (so im Streitfall), auch wenn eine Partei entsprechende Informationen in einzelnen anderen Rechtsstreitigkeiten dem dortigen Prozessgegner zugänglich gemacht hat, ohne dass zuvor eine Geheimhaltungsanordnung ergangen war. Dies hängt von den konkreten Fallumständen ab.
Verfahrensgang
LG Bochum (Aktenzeichen 4 O 196/18) |
Tenor
Die sofortigen Beschwerden des Beschwerdeführers zu 1) und des Beschwerdeführers zu 2) gegen den Beschluss des Landgerichts Essen vom 07.10.2020 werden zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Beschwerdeführer jeweils zur Hälfte zu tragen.
Der Wert der Beschwerdeverfahren wird auf jeweils bis zu 5.000,- EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die sofortigen Beschwerden sowohl des Klägers als auch des Beschwerdeführers zu 2) sind gemäß § 174 Abs. 3 GVG zulässig. Auch der Beschwerdeführer zu 2) hat ein eigenes Beschwerderecht gegen die ihm auferlegte Geheimhaltungspflicht (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17.02.2020 - 12 W 24/19, VersR 2020, 410).
II. Sie sind aber unbegründet.
1. Zu Recht hat das Landgericht angenommen, dass es sich bei den Unterlagen, hinsichtlich derer es dem Kläger und dem Beschwerdeführer zu 2) eine Geheimhaltungsverpflichtung auferlegt hat, um wichtige Geschäftsgeheimnisse im Sinne von § 172 Nr. 2 GVG handelt. Auch der Senat kommt bei seiner tatrichterlichen Würdigung zu diesem Ergebnis.
a) Hinsichtlich des Begriffes des "Geschäftsgeheimnisses" kann auf die gesetzliche Definition in § 2 Nr. 1 GeschGehG zurückgegriffen werden (Zöller/Lückemann, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 172 GVG Rn. 8).
Danach besteht ein Geschäftsgeheimnis in einer Information, die weder insgesamt noch in der genauen Anordnung und Zusammensetzung ihrer Bestandteile den Personen in den Kreisen, die üblicherweise mit dieser Art von Informationen umgehen, allgemein bekannt oder ohne Weiteres zugänglich ist und daher von wirtschaftlichem Wert ist (§ 2 Nr. 1 lit. a) GeschGehG), die ferner Gegenstand von den Umständen nach angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen durch ihren rechtmäßigen Inhaber ist (§ 2 Nr. 1 lit. b) GeschGehG) und hinsichtlich derer schließlich ein berechtigtes Interesse an der Geheimhaltung besteht (§ 2 Nr. 1 lit. c) GeschGehG).
b) Ausgehend davon handelt es sich bei denjenigen Informationen, hinsichtlich derer das Landgericht die Geheimhaltung angeordnet hat, um Geschäftsgeheimnisse im Sinne von § 172 Nr. 2 GVG.
aa) Die Beklagte hat ein berechtigtes Interesse an der Geheimhaltung der in Rede stehenden Informationen (§ 2 Nr. 1 lit. c) GeschGehG).
Aus den betreffenden Anlagen ergeben sich entsprechend dem Vortrag der Beklagten interne Angaben zur Ermittlung des auslösenden Faktors, zur Festlegung von Rechnungsgrundlagen und zu Auswirkungen auf die Beiträge und zur Limitierung. Der Senat teilt im Rahmen des ihm zustehenden tatrichterlichen Ermessens die Auffassung des Landgerichts, dass die Beklagte ein anerkennenswertes Interesse an der Geheimhaltung dieser Informationen hinreichend dargelegt hat.
Ob es sich bei den betreffenden Informationen um technische Berechnungsgrundlagen im Sinne von § 155 Abs. 1 S. 3 und 4 VAG handelt, ist entgegen der Beschwerdebegründung ohne Belang. Eine entsprechende Voraussetzung lässt sich § 2 Nr. 1 GeschGehG an keiner Stelle entnehmen.
Ein weitergehender Vortrag der Beklagten dazu, welche konkreten Nachteile bei der Offenlegung welcher Geheimnisse zu erwarten sind, ist nicht erforderlich (vgl. KG, Beschluss vom 10.11.2020 - 6 W 1029/20, juris Rn. 19). Dies liegt auf der Hand, weil es sich um Informationen handelt, die ihrer Art nach vor Wettbewerbern geheim bleiben sollen. Angesichts dessen verbleibt der Senat bei der Auffassung, dass die Beklagte nicht gehalten ist, etwa im Einzelnen auszuführen, welche konkreten Schlüsse Wettbewerber aus dem Gesamtverhältnis von beobachteten und kalkulierten Leistungen ziehen könnten.
Nichts anderes gilt im Übrigen hinsichtlich der von der Beklagten getroffenen Limitierungsmaßnahmen. Es mag sein, dass die Beklagte bei diesen Limitierungsmaßnahmen rechtlichen Regelungen unterworfen ist, die ihren unternehmerischen Spielraum begrenzen; dennoch besteht ein solcher aber. Da es sich im weiteren Sinne um einen Bestandteil der Prämienkalkulation handelt, hat die Beklagte ein anerkennenswertes Interesse an der Geheimhaltung auch dieser Informationen.
Ohne Bedeutung ist schließlich, ob die Unterlagen teilweise auch solche Daten und Angaben enthalten mögen, die allgemein zugänglich sind. Der Senat teilt die Auffassung des Oberlandesgerichts Karlsruhe, dass die betreffenden Angaben in einem inneren und äußeren Zusammenhang zu geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen stehen und dass ein "Ausfiltern" einzelner nicht geheimhaltungsbedürftiger Bestandteile weder praktikabel noch rechtlich geboten ist (KG, Beschluss vom 10.11.2020 - 6 W 1029/20,...