Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine "ungefragte" (spontane) Anzeigepflicht für Verdachtsdiagnosen bei Abschluss einer Dread-Disease-Versicherung
Leitsatz (amtlich)
Eine Pflicht zur Anzeige von durch den Versicherer nicht erfragten Gefahrumständen kommt allenfalls in Betracht bei solchen Gefahrumständen, die so selten und fernliegend sind, dass dem Versicherer nicht vorzuwerfen ist, diese nicht abgefragt zu haben.
Normenkette
VVG § 19
Tenor
Die Berufung ist nach dem Beschluss zurückgenommen worden.
Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Beklagten gem. § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen.
Es wird Gelegenheit gegeben, binnen drei Wochen Stellung zu nehmen.
Der Klägerin wird für die Abwehr der gegnerischen Berufung Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Dr ... bewilligt, § 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO. Es sind monatliche Raten i.H.v. 45 EUR zu zahlen.
Gründe
Die Berufung der Beklagten hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung und es erfordern auch nicht die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Senats auf Grund mündlicher Verhandlung. Eine mündliche Verhandlung ist schließlich auch sonst nicht geboten.
Das LG hat der Klage mit dem angefochtenen Urteil zu Recht stattgegeben und den Fortbestand der von der Klägerin bei der Beklagten genommenen Dread-Disease-Versicherung festgestellt.
Der Versicherungsvertrag ist weder durch die mit Schreiben der Beklagten vom 8.4.2013 erklärte Anfechtung wegen arglistiger Täuschung gem. §§ 22 VVG, 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB noch durch den zugleich erklärten Rücktritt wegen Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht gem. § 19 Abs. 1, Abs. 2 VVG beendet worden.
Das LG hat angenommen, es könne nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme jedenfalls nicht ausgeschlossen werden, dass die Klägerin bei Antragstellung am 27.4.2000 gegenüber dem Versicherungsvermittler und Zeugen Heitmann im Rahmen der erfragten Gefahrumstände erklärt habe, sie habe sich vor längerer Zeit im Krankenhaus befunden, weil sie auf dem linken Auge nichts mehr gesehen habe, wobei eine Sehnervenstörung festgestellt und sie als gesund entlassen worden sei. Diese Feststellungen werden von der Berufung nicht angegriffen und sind für den Senat bindend.
Das LG hat auf dieser Grundlage auch zu Recht angenommen, dass die Beklagte bereits den Nachweis einer objektiven Verletzung der Anzeigepflicht durch die Klägerin nicht geführt habe. Denn dasjenige, was der Versicherungsvermittler im Zusammenhang mit der Aufnahme des Versicherungsantrags erfährt, ist gem. § 70 Satz 1 VVG dem Versicherer zuzurechnen. Der Versicherer muss dabei beweisen, dass alle Fragen im schriftlichen Formular dem Antragsteller tatsächlich gestellt und so wie niedergelegt von ihm beantwortet worden sind (vgl. nur BGH, Versäumnisurt. v. 24.11.2010 - IV ZR 252/08, juris, Rz. 26, VersR 2011, 737; Senat, Urt. v. 31.1.2015 - 20 U 108/14, n. v.; Urt. v. 9.7.2008 - 20 U 195/07, VersR 2009, 1649 = zfs 2010, 32). Bis zum Beweis des Gegenteils (BGH, Urt. v. 14.7.1993 - IV ZR 153/92, juris, Rz. 32, BGHZ 123, 224 = VersR 1993, 1089) ist dem Versicherer daher zuzurechnen, was dem Vermittler im Gespräch mit dem späteren Versicherungsnehmer bekannt geworden ist, auch wenn es im schriftlichen, vom Vermittler ausgefüllten Antrag keinen Ausdruck gefunden hat.
Keiner abschließenden Entscheidung durch den Senat bedarf in diesem Zusammenhang die Frage, ob eine Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht durch die Klägerin unabhängig vom Ergebnis der Beweisaufnahme nicht bereits deshalb ausscheidet, weil es entgegen § 19 Abs. 1 Satz 1 VVG an einer Fragestellung in Textform fehlt. Allerdings besteht eine Anzeigepflicht nur bei solchen Gefahrumständen, nach denen der Versicherer in Textform (§ 126b BGB) gefragt hat, wobei die Wahrung des Textformerfordernisses voraussetzt, dass die Fragen in einer Urkunde oder in einer anderen zur dauerhaften Wiedergabe in Schriftzeichen geeigneten Weise gestellt wurden (OLG Saarbrücken, Urt. v. 10.10.2012 - 5 U 408/11, zfs 2013, 223; Langheid, in: Römer/Langheid, VVG, 4. Aufl. 2014, § 19 Rz. 56). Zudem muss dem Antragsteller das Antragsformular auch in Textform zur Verfügung gestellt werden, da nur so der Dokumentationsfunktion des § 126b BGB hinreichend Rechnung getragen wird (vgl. KG, Beschl. v. 23.5.2014 - 6 U 210/13, juris, Rz. 16, VersR 2014, 1357; Karczewski, r+s 2012, 521, 526; Looschelders, VersR 2011, 697, 698). Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass in Textform gefragt worden ist, trifft wiederum gem. § 69 Abs. 3 Satz 2 VVG den Versicherer (vgl. LG Berlin, Urt. v. 25.1.2013, juris, Rz. 50, 23 O 238/11, r+s 2014, 7). Die Klägerin hat insoweit unwidersprochen behauptet, bei Aufnahme des Antrags keine Kopie des Antragsformulars erhalten zu haben.
Soweit die Berufung rügt, die Klägerin sei verpflichtet gewesen, einen im Jahre 2005 im Zusammenhang mit ihrem stationären Aufenthalt im Universitätsklinikum K wegen der Seh...