Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufungshauptverhandlung, Versäumung, Wiedereinsetzung, Entschuldigung, Abgrenzung zur Revision, Protokollurteil, Urteilsabfassung, Urteilsgründe, mehrere Fassungen
Leitsatz (amtlich)
1. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung (§ 329 Abs. 7 StPO) kann nicht allein auf solche Tatsachen gestützt werden, die das Berufungsgericht bereits in seinem die Berufung verwerfenden Urteil bereits als zur Entschuldigung des Ausbleibens der Angeklagten nicht geeignet gewürdigt hat. Diese Würdigung der Entschuldigungsgründe kann nur mit der Revision angefochten werden, der Wiedereinsetzungsantrag grundsätzlich nur auf neue, dem Berufungsgericht bei seiner Entscheidung nicht bekannte Tatsachen gestützt werden.
2. Ist ein Urteil einmal in der vorgeschriebenen Form in das Protokoll nach § 275 Abs. 1 S. 1 StPO aufgenommen worden, so ist es nicht mehr abänderbar (auch nicht in den Urteilsgründen).
3. Die Unterschrift des Vorsitzenden einer kleinen Strafkammer, welche in der Besetzung mit dem Vorsitzenden als Berufsrichter und zwei Schöffen entschieden hat, unter dem Protokoll deckt zugleich auch ein Protokollurteil i.S.v. § 275 Abs. 1 S. 1 StPO ab und genügt damit den Anforderungen des § 275 Abs. 2 S. 1 StPO.
Normenkette
StPO § 329 Abs. 7, § 275 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
LG Münster (Aktenzeichen 15 Ns 21/19) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten des Angeklagten (§ 473 Abs. 1 StPO) als unbegründet verworfen.
Gründe
I.
Das Landgericht hat mit Urteil vom 25.11.2019 die Berufung des Angeklagten gem. § 329 StPO verworfen, weil dieser trotz ordnungsgemäßer Ladung unentschuldigt zum Termin der Berufungshauptverhandlung nicht erschienen sei und sein erschienener Verteidiger nicht über eine hinreichende Vertretungsvollmacht verfügt habe.
Gegen das Urteil hat der Angeklagte am 29.11.2019 Revision eingelegt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung beantragt. Das Landgericht hat das Wiedereinsetzungsgesuch mit dem angefochtenen Beschluss zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit der sofortigen Beschwerde, deren Verwerfung die Generalstaatsanwaltschaft beantragt hat.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
a) Der Angeklagte ist der Berufungshauptverhandlung, zu der er ordnungsgemäß geladen war, unentschuldigt ferngeblieben. Er ist nicht erschienen, so der Vortrag der Verteidigung, infolge einer Verletzung seines Fußes. Diesbezüglich hat er zwar eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eingereicht, die aber nichts über seine Verhandlungs- oder Transportfähigkeit - und damit über ein etwaiges unentschuldigtes Fehlen - aussagt. Angesichts der zwei Tage nach dem Berufungshauptverhandlungstermin ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, welche lediglich auf einen Tag, also den Tag nach der Berufungshauptverhandlung, zurückdatiert wurde, bestand auch unter Aufklärungsgesichtspunkten kein Anlass, weiter zu ermitteln, ob die gesundheitliche Beeinträchtigung, welche zur Bescheinigung einer Arbeitsunfähigkeit führte, derart war, dass auch Verhandlungs- oder Reiseunfähigkeit, welche eine Teilnahme an der Berufungshauptverhandlung gehindert hätte, bestanden hat.
b) Auch der Umstand, dass der Angeklagte aufgrund des Hinweises in der Ladung auf die Möglichkeit, sich vertreten zu lassen, glaubte, infolge einer seinem Verteidiger erteilten Vertretungsvollmacht (die das Landgericht allerdings nicht für ausreichend erachtete) nicht erscheinen zu müssen, führt nicht zu einem im Wiedereinsetzungsverfahren beachtlichen Unverschulden.
Nach ganz herrschender Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum kann der Wiedereinsetzungsantrag nicht allein auf solche Tatsachen gestützt werden, die das Berufungsgericht bereits in seinem die Berufung verwerfenden Urteil als zur Entschuldigung des Ausbleibens der Angeklagten nicht geeignet gewürdigt hat. Diese Würdigung der Entschuldigungsgründe kann nur mit der Revision angefochten werden. Vielmehr kann der Wiedereinsetzungsantrag grundsätzlich nur auf neue, dem Berufungsgericht bei seiner Entscheidung nicht bekannte Tatsachen gestützt werden (OLG Hamm, Beschl. v. 16.08.2007 - 2 Ws 484/07 m.w.N. = BeckRS 2007, 15994). Im Wiedereinsetzungsverfahren kann daher nicht geltend gemacht werden, das Berufungsgericht habe ihm bekannte Umstände falsch gewertet. Dies ist ggf. Prüfungsgegenstand der Revision (Eschelbach in: Graf, StPO, 3. Aufl., § 329 Rdn. 57).
Hier war dem Berufungsgericht bekannt, dass der Angeklagte im Vertrauen auf eine mögliche Vertretung durch seinen Verteidiger der Berufungshauptverhandlung ferngeblieben ist. Dies ergibt sich zwar nicht aus dem Berufungsurteil, von dem es zwei Fassungen gibt. Die in dem mit vollständigen Rubrum versehene Urteilsfasssung führt unter "Gründe" lediglich das unentschuldigte Fernbleiben des Angeklagten ohne genügende Entschuldigung trotz ordnungsgemäßer Ladung und das Fehlen einer zulässigen Vertretung auf...