Verfahrensgang
AG Hagen (Entscheidung vom 05.07.2019; Aktenzeichen 188 OWi - 573 Js 561/19 - 129/19) |
Tenor
Das angefochtene Urteil des Amtsgerichts Hagen vom 05.07.2019 wird mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Hagen zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Hagen hat den Betroffenen mit Urteil vom 05.07.2019 wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 350,00 Euro verurteilt, ihm die Zahlung der Geldbuße in Raten zu je 250 € bewilligt und gegen ihn - unter Gewährung von Vollstreckungsaufschub gem. § 25 Abs. 2a StVG - ein einmonatiges Fahrverbot verhängt.
Gegen dieses in Anwesenheit des Betroffenen und seines Verteidigers verkündete Urteil hat der Betroffene mit am 10.07.2019 bei dem Amtsgericht Hagen eingegangenem Telefaxschreiben vom selben Tag "Beschwerde" eingelegt.
Mit weiterem, fristgerecht am 19.08.2019 bei dem Amtsgericht Hagen eingegangenem elektronischem Schreiben seines Verteidigers vom selben Tag hat der Betroffene das von ihm eingelegte Rechtsmittel als Rechtsbeschwerde konkretisiert und mit der Verletzung formellen und sachlichen Rechts begründet.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Zuschrift vom 04.02.2020 beantragt, die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gemäß § 79 Abs. 3 S. 1 OwiG i. V. m. § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.
II.
Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG statthafte sowie form- und fristgerecht (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V.m. §§ 341 Abs. 1, 345 Abs. 1 StPO) eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde hat in der Sache - zumindest vorläufig - Erfolg.
Durch die erhobene Verfahrensrüge, das Amtsgericht habe sich bei der Urteilsfindung auf ein Lichtbild, nämlich das Messfoto Bl. 4 d. A., gestützt, das nicht ordnungsgemäß in die Hauptverhandlung eingeführt worden sei, macht der Betroffene geltend, das Amtsgericht habe seine Überzeugung nicht allein aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung geschöpft und rügt damit einen Verstoß gegen § 261 StPO i.V.m. §§ 249 ff. StPO, 77, 77a, 78 OWiG.
Die in einer der Vorschrift des § 344 Abs. 2 StPO noch genügenden Form erhobene Rüge ist auch begründet.
Die entsprechenden Rügetatsachen (Nichtinaugenscheinnahme des in den Urteilsgründen in Bezug genommenen Lichtbildes Bl. 4 d.A.) sind durch das Hauptverhandlungsprotokoll bewiesen. Bei der Inaugenscheinnahme eines Lichtbildes handelt es sich um eine wesentliche Förmlichkeit der Hauptverhandlung (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl. § 273 Rn. 7 m. w. N.), so dass der Nachweis hierüber - bzw. über ihr Fehlen - durch das Hauptverhandlungsprotokoll geführt werden kann. Schweigt das Hauptverhandlungsprotokoll über die Inaugenscheinnahme - wie vorliegend -, so gilt diese als nicht erfolgt.
Ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls wurde lediglich das Datenfeld des Messfotos Bl. 4 d. A. durch Bekanntgabe seines wesentlichen Inhalts gemäß § 78 Abs. 1 S. 1 OwiG zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht. Soweit die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 04.02.2020 hierzu unter Verweis auf eine Entscheidung des OLG Zweibrücken (Beschluss vom 28.02.2018 - 1 Owi 2 Ss Bs 106/17) die Ansicht vertritt, dass die Verlesung der Datenzeile die Inaugenscheinnahme des Messfotos ebenso umfassen müsse, wie die Inaugenscheinnahme des Messfotos die Einführung der Datenzeile in die Hauptverhandlung beinhalte, kann dem nicht gefolgt werden. Das OLG Zweibrücken führt in der zitierten Entscheidung lediglich zutreffend und in Anschluss an die Rechtsprechung des BGH aus, dass, wenn sich ausnahmsweise der gedankliche Inhalt einer Urkunde auf einen Blick erfassen lässt, deren Inaugenscheinnahme auch deren Inhalt zum Gegenstand der Hauptverhandlung macht. Erschließt sich der Text bereits aus einem flüchtigen Betrachten der Urkunde bei der Inaugenscheinnahme, kann dessen Bedeutung nicht ausgeblendet werden und ist dieser mithin Bestandteil der diesbezüglichen Beweisaufnahme (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 28.02.2018 - 1 Owi 2 Ss Bs 106/17 = BeckRS 2018, 3367, beck-online). Umgekehrt kann dies jedoch nicht gelten. Während der Inhalt von Urkunden gemäß § 249 Abs. 1 S. 1 StPO durch Verlesen zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht wird, d.h. durch unmittelbares Umsetzen von Schrift- und Zahlenzeichen in Worte (bzw. in Gedanken in der Ersatzform des Selbstlesens nach § 249 Abs. 2 S. 1 StPO), erfolgt der Augenschein durch sinnliche Wahrnehmung, nämlich Sehen, Hören, Schmecken, Riechen oder Befühlen (vgl. zur Abgrenzung BayObLG, Beschluss vom 06.03.2002 - 1 ObOWi 41/02 = NZV 2002, 379, beck-online). Durch das Erfordernis des Verlesens einer Urkunde in der Hauptverhandlung kommt zum Ausdruck, dass es nicht auf den optischen Eindruck des Schrift- bzw. Ziffernträgers ankommt sondern auf dessen gedanklichen Inhalt, der den Verfahrensbeteiligten durch Verlesung zur Kenntnis gebracht werden soll. Käme es ...