Leitsatz (amtlich)
1.
Auf eine Verletzung des § 55 StPO kann die Revision nicht gestützt werden.
2.
Wird mit formellen Rüge geltend gemacht, der Tatrichter habe den Unmittelbarkeitsgrundsatz nach § 250 StPO dadurch verletzt, dass er die nicht mehr vorhandene Erinnerung eines Zeugen in der Hauptverhandlung durch einen unmittelbaren, durchgehenden Rückgriff auf den Inhalt von Vermerken ersetzt habe, muss vorgetragen werden, ob in der Hauptverhandlung vom Zwischenrechtsbehelf des § 238 Abs.2 StPO Gebrauch gemacht worden ist.
Verfahrensgang
LG Hagen (Entscheidung vom 16.09.2002) |
Tenor
Die Revision des Angeklagten wird auf seine Kosten (§ 473 Abs. 1 StPO) als offensichtlich unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten nicht erkennen lässt (§ 349 Abs. 2 StPO).
Gründe
Der näheren Erörterung bedürfen hinsichtlich der formellen Rügen lediglich folgende Punkte:
1.
Soweit der Angeklagte einen Verstoß gegen § 261 StPO mit der Begründung rügt, das Landgericht Hagen habe seiner Beweiswürdigung die mangels Belehrung des Zeugen S. über ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO in verfahrensrechtlich nicht zulässiger Weise erlangten Erkenntnisse aus den Vermerken des Polizeibeamten M. vom 08. und 13. September 2000 zu Grunde gelegt, ist bereits bedenklich, ob die Verfahrensrüge den Formerfordernissen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO genügt. Nach dieser Vorschrift sind die den Verfahrensverstoß begründenden Tatsachen so vollständig und so genau mitzuteilen, dass das Revisionsgericht allein aufgrund der Begründungsschrift das Vorliegen eines Verfahrensfehlers prüfen kann (BGHSt 3, 213; 21, 334, 340; 22, 169, 170; 29, 203). Dabei müssen Schriftstücke und Aktenbestandteile im Einzelnen bezeichnet und wörtlich oder wenigstens inhaltlich wiedergegeben werden (BGH NStZ 1984, 213; Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl., § 344 Rn. 22).
In der Revisionsbegründung werden weder der Wortlaut noch der Inhalt der genannten Vermerke vorgetragen. Letzterer ergibt sich nur mittelbar aus den wörtlich zitierten Passagen der Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils, die sich über die Vermerke verhalten. Zwar darf das Revisionsgericht Verfahrensrügen aus den Urteilsgründen ergänzen, wenn wie hier auch die Sachrüge zulässig erhoben worden ist (BGH bei Miebach NStZ-RR 1998, 3; BGH NStZ 1993, 143; Dahs/Dahs, Die Revision im Strafprozess, 6. Aufl., Rn. 483). Es ist aber auch dann nicht feststellbar, ob der Inhalt der Vermerke in den ergänzend herangezogenen Urteilsgründen vollständig dargestellt worden ist.
Ob die Formerfordernisse für Verfahrensrügen gewahrt worden sind, kann jedoch letztlich dahin stehen, weil der Angeklagte seine Revision auf eine Verletzung des § 55 StPO nicht stützen kann (BGHSt 1, 39, 40; 11, 213, 216 ff.). Denn das Auskunftsverweigerungsrecht des Zeugen dient nicht dem Schutz des Angeklagten. Vielmehr stellt es im Gegensatz zum Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO, das auf familiären Beziehungen zum Angeklagten beruht und dessen Rechtskreis - Schutz der Familie - unmittelbar berührt, ein Persönlichkeitsrecht ausschließlich des Zeugen dar. Diesem soll eine Selbstbezichtigung oder Beschuldigung seiner Angehörigen nicht zugemutet werden, um ihm Gewissenskonflikte zu ersparen. An der Wahrung der Entschlussfreiheit des Zeugen besteht indes kein rechtlich zu schützendes Interesse des Angeklagten.
2.
Die weitere formelle Rüge, das Landgericht Hagen habe den Unmittelbarkeitsgrundsatz nach § 250 StPO verletzt, indem es die nicht mehr vorhandene Erinnerung des Zeugen S. in der Hauptverhandlung durch einen unmittelbaren, durchgehenden Rückgriff auf den Inhalt der Vermerke vom 08. und 13. September 2000 ersetzt habe, greift nicht durch, weil hier die Formerfordernisse für Verfahrensrügen nach § 344 Abs. 2 S. 2 StPO nicht gewahrt sind.
Denn in der Revisionsbegründung wird nicht vorgetragen, ob der Angeklagte vom Zwischenrechtsbehelf des § 238 Abs. 2 StPO Gebrauch gemacht hat. Danach hätte er die Verwendung der Vermerke vom 08. und 13. September 2002 in der Hauptverhandlung beanstanden und eine Entscheidung der Kammer herbeiführen müssen, um sein Recht auf Revision nicht zu verwirken (BGHSt 1, 322, 325; 3, 368; 4, 364, 366). Sachleitende Anordnungen des Vorsitzenden im Sinne dieser Vorschrift sind nämlich - wie hier - auch Vorhalte schriftlich niedergelegter früherer Äußerungen eines Zeugen zur Gedächtnisstütze bei seiner Vernehmung in der Hauptverhandlung (BGHSt 3, 199, 202).
Selbst wenn man die Zulässigkeit der Rüge unterstellen würde, wäre sie indes nicht begründet. Dazu ist zu bemerken, dass § 250 StPO nur die Ersetzung der Zeugenaussage des Wahrnehmenden durch die Verlesung einer Urkunde über die Wahrnehmung untersagt. Die Verwertung einer früheren Aussage zum Zweck der Vorhaltungen ist aber zulässig. Werden - wie hier - einem Zeugen seine schriftlich dokumentierten früheren Angaben als Gedächtnisstütze in der Weise zugänglich gemacht, dass ...