Entscheidungsstichwort (Thema)
Vollrausch. Vorsatz. Mindestfeststellungen
Leitsatz (amtlich)
1. Bedingter Vorsatz der Rauschtat ist gegeben, wenn es der Täter bei dem Genuss von Rauschmitteln für möglich hält und billigend in Kauf nimmt, dass er sich dadurch in einen Rauschzustand versetzt, der seine Einsichtsfähigkeit oder sein Hemmungsvermögen jedenfalls erheblich vermindert, wenn nicht ganz ausschließt.
2. Allein aus der Aufnahme der beträchtlichen Alkoholmenge, die zum Erreichen einer festgestellten hohen BAK erforderlich war, können zuverlässige Schlüsse zur inneren Tatseite nicht gezogen werden, denn es gibt keinen Erfahrungssatz, dass bei Alkoholgenuss in einer Menge, die zu einer Blutalkoholkonzentration von mehr als 3,4 o/oo führt, stets auf die vorsätzliche Herbeiführung eines Rauschzustandes durch den Täter geschlossen werden kann.
3. Vielmehr müssen weitere, auf die vorsätzliche Tatbegehung hinweisende Umstände, hinzutreten, so dass es weiterer Feststellungen zur maximalen BAK, zum Trinkverlauf (Beginn und Dauer des Alkoholkonsums, Art und Menge der konsumierten Getränke und ihres Alkoholgehalts), zu den Trinkgewohnheiten bzw. der Alkoholgewöhnung des Angeklagten, ggf. auch zu weiteren, von ihm früher begangenen Straftaten bedarf.
Normenkette
StGB §§ 323a, 224
Verfahrensgang
AG Herford (Aktenzeichen 3 Cs-586 Js 1591/15-914/15) |
Tenor
Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen vorsätzlichen Vollrausches verurteilt wurde.
Ferner wird das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch hinsichtlich der Tagessatzhöhe aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen vorsätzlicher Körperverletzung verurteilt wurde.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts - Strafrichter - Herford zurückverwiesen.
Im Übrigen wird die Revision als unbegründet verworfen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Herford hat den Angeklagten durch das angefochtene Urteil vom 20. Januar 2016 wegen vorsätzlichen Vollrausches und wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt und die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt.
Das Amtsgericht hat zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten die folgenden Feststellungen getroffen:
"Der Angeklagte wurde am 03.10.1969 geboren. Der Angeklagte ist deutscher Staatsangehöriger und verheiratet."
In den Feststellungen zur Sache heißt es in dem angefochtenen Urteil wie folgt:
"1.
Am 02.06.2015 trank der Angeklagte in erheblichem Umfang alkoholische Getränke. Bei einer anschließenden Fahrradfahrt, wobei der Angeklagte vorn und die Zeugen X hinten auf dem Rad saß, kippte der Angeklagte mitsamt dem Fahrrad um. Die Zeugin X zog sich dabei keine Verletzungen aufgrund des Sturzes zu. Die Untersuchungen der dem Angeklagten am 02.06.2015 um 23:35 Uhr und am 03.06.2015 um 0:05 Uhr entnommenen Blutproben ergaben BAK Mittelwerte von 3,40 o/oo bzw. 3,32 o/oo bei einer Körpergröße von 190 cm und einem Körpergewicht von 90 kg sowie einen Reduktionsfaktor von 0,717. Das Vorfallsdatum wurde mit dem 02.06.2015, 21:30 Uhr, angegeben. An der Wohnung des Angeklagten in der C-Straße angekommen, begab sich die Zeugin X in diese und setzte sich auf eine im Wohnzimmer auf dem Boden befindliche Matratze. Plötzlich trat der Angeklagte der Zeugin X wuchtig mitten in das Gesicht, wobei der Angeklagte feste Arbeitsschuhe an den Füßen trug. Dadurch fügte der Angeklagte der Zeugin eine stark blutende Platzwunde an der Lippe zu. Die Zeugin X erlitt außerdem Schmerzen, bis die Wunde verheilte, insgesamt mindestens eine Woche. Ein Nähen der Wunde oder die Einnahme von Schmerzmitteln lehnte die Zeugin ab. Auch begab sich die Zeugin nicht in zahnärztliche Behandlung wegen der geklagten Lockerung der Zähne. Der Angeklagte war zum Tatzeitpunkt erheblich intoxikiert. Der Angeklagte zeigte noch bei der Sachverhaltsaufnahme durch die eingesetzten Polizeibeamten, den Zeugen U und C, ein unsicheres Gangbild. Außerdem verhielt sich der Angeklagte sehr aggressiv, war laut und lief ziellos in seiner Wohnung hin und her. Bei der Sachverhaltsaufnahme konnte durch die Polizeibeamten festgestellt werden, dass der Angeklagte Blutanhaftungen an den Händen hatte. Die Zeugin X hatte unmittelbar nach dem Versetzen des Trittes die Wohnung verlassen und von der M-Straße aus die Polizei verständigt.
Der Angeklagte führte den Tritt gegen die Zeugin X bewusst aus. Indes war sicher die Fähigkeit des Angeklagten, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln bei Begehung der Tat erheblich vermindert, wenn nicht gar aufgrund seiner starken Alkoholisierung aufgehoben. Dass der Konsum derartiger Mengen alkoholischer Getränke, die zu einer Blutalkoholkonzentration von mehr als 3,0 o/oo führte, das Unterscheidungs- oder Hemmungsvermögen bzw. seine Körperbeherrschung erheblich beeinträchtigen würden, hielt der Angeklagte für sich für möglich un...