Entscheidungsstichwort (Thema)

Verkehrsordnungswidrigkeit. Regelfahrverbot. Verhandlung in Abwesenheit. Erörterungsmangel

 

Leitsatz (amtlich)

1. Hat die Hauptverhandlung in Bußgeldverfahren in erlaubter Abwesenheit des Betroffenen und auch ohne seinen Verteidiger stattgefunden, sind seine früheren Erklärungen gemäß § 74 Abs. 1 S. 2 OWiG in die Hauptverhandlung einzuführen und zu berücksichtigen. Dazu zählen auch die durch einen Schriftsatz des Verteidigers vorgetragenen Angaben des Betroffenen, soweit der Verteidiger bei den schriftsätzlichen Angaben Verteidigungsvollmacht hatte.

2. Enthalten diese schriftlichen Angaben Vorbringen zu den persönlichen Verhältnissen des Betroffenen und zu den Auswirkungen eines Fahrverbots, bedarf es bei einer Entscheidung über die Verhängung bzw. das Absehen von der Verhängung des Regelfahrverbots einer hinreichend nachvollziehbaren Auseinandersetzung mit diesem Vorbringen.

 

Normenkette

OWiG § 74 Abs. 1 S. 2; StVG § 25 Abs. 1 S. 1; BKatV § 4 Abs. 1, 4

 

Verfahrensgang

AG Lünen (Aktenzeichen 16 OWi 602/16)

 

Tenor

Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch nebst den dazugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Lünen zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die Rechtsbeschwerde als unbegründet verworfen.

 

Gründe

I.

Mit der angefochtenen Entscheidung hat das Amtsgericht Lünen den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 300,00 € verurteilt und gegen ihn unter Gewährung eines Vollstreckungsaufschubs gemäß § 25 Abs. 2a StVG ein einmonatiges Fahrverbot verhängt.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit seiner zulässig erhobenen Rechtsbeschwerde, die zumindest auch auf die allgemeine Sachrüge gestützt ist.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, unter Verwerfung der Rechtsbeschwerde als offensichtlich unbegründet im Übrigen das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch mit den dazugehörigen Feststellungen aufzuheben und die Sache im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an das Amtsgericht Lünen zurückzuverweisen.

II.

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen ist zulässig und hat in der Sache vorläufig teilweise Erfolg. Sie führt zu einer Aufhebung des angefochtenen Urteils im Rechtsfolgenausspruch sowie im Umfang der Aufhebung zu einer Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht Lünen.

1.

Der Schuldspruch des angefochtenen Urteils hält einer rechtlichen Überprüfung stand. Insoweit war daher die Rechtsbeschwerde entsprechend dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft als offensichtlich unbegründet zu verwerfen, da die Nachprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Rechtsbeschwerderechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben hat (§§ 79 Abs. 3 OWiG, 349 Abs. 2 StPO).

2.

Der Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen Urteils hält hingegen rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Hierzu hat die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift vom 21.03.2017 ausgeführt:

"Die Überprüfung des Rechtsfolgenausspruchs lässt jedoch Rechtsfehler erkennen, die zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung insoweit führen müssen. Die vom Amtsgericht dazu bislang getroffenen Feststellungen sind lückenhaft und rechtfertigen nicht die Anordnung des verhängten Fahrverbots.

Das Amtsgericht hat ausgeführt, dass es keine Veranlassung sieht, von dem Regelfahrverbot nach § 25 Abs. 1 S. 1 StVG i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 1 BKatV i.V.m. 11.3.8 BKat abzuweichen. Es hat ferner ausgeführt, dass auch nicht ausnahmsweise von der Anordnung eines Fahrverbots gemäß § 4 Abs. 4 BKatV abzusehen war, und dies wie folgt begründet:

"Von der Verhängung eines Fahrverbotes kann im Einzelfall abgesehen werden, wenn außergewöhnliche Umstände vorliegen oder die Anordnung eines Fahrverbotes unverhältnismäßig ist. Dieser Möglichkeit, von einem Fahrverbot, ggf. gegen Erhöhung der Geldbuße abzusehen, war sich das Gericht bewusst. Maßgebend dafür, von dieser Möglichkeit vorliegend keinen Gebrauch zu machen, war, dass derartige außergewöhnliche Umstände des Einzelfalles vorliegend, auch unter Berücksichtigung des Schriftsatzes des Verteidigers vom 06.12.2016, nicht ersichtlich waren und das Fahrverbot im Übrigen nicht unverhältnismäßig ist. So war insbesondere über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen nichts bekannt. Vielmehr entspricht das Fahrverbot daher neben der Geldbuße der Schuld des Betroffenen."

Im Übrigen hat es zur beruflichen und Einkommenssituation des Betroffenen keine Feststellungen getroffen.

Diese Feststellungen sind lückenhaft (§ 267 StPO). Sie ermöglichen es dem Rechtsbeschwerdegericht nicht, zu überprüfen, ob die vom Amtsgericht getroffene Fahrverbotsentscheidung zutreffend ist oder nicht. Zwar unterliegt die Entscheidung, ob trotz Vorliegens eines Regelfalls der konkrete Sachverhalt Ausnahmecharakt...

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