Entscheidungsstichwort (Thema)

Internationale Kindesentführung: Anforderungen an eine "schwerwiegende Gefahr" zur Zurückweisung eines Rückführungsantrages; akute Suizidgefahr als grundsätzlicher Ablehnungsgrund

 

Leitsatz (amtlich)

Die schwerwiegende Gefahr des Art. 13 Abs. 1 lit. b HKÜ muss sich als besonders erheblich, konkret und aktuell darstellen. Das ist grundsätzlich dann der Fall, wenn bei der Rückführung eine akute Suizidgefahr des Kindes besteht.

 

Normenkette

KiEntfÜbk Haag Art. 13 Abs. 1 Buchst. b Alt. 1

 

Verfahrensgang

AG Hamm (Beschluss vom 27.03.2012)

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Kindesmutter und Antragsgegnerin wird der Beschluss des AG - Familiengericht - Hamm vom 27.3.2012 abgeändert.

Der Antrag des Kindesvaters und Antragstellers auf Rückführung der Kinder U, geboren am 13.5.2001, und U2, geboren am 11.3.2008, wird zurückgewiesen.

Die Gerichtskosten werden zwischen den Kindeseltern geteilt. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens beträgt 6.000 EUR.

 

Gründe

I. Die am 22.1.1981 in Polen geborene Antragsgegnerin und der am 6.12.1975 ebenfalls in Polen geborene Antragsteller schlossen am 12.1.2001 in Deutschland die Ehe miteinander. Am 13.5.2001 kam die gemeinsame Tochter U in M zur Welt. In der Folgezeit lebte die Familie gemeinsam in Deutschland.

Im Jahr 2005 kam es zur Trennung der Eheleute. Der Antragsteller ging nach Polen zurück, während die Antragsgegnerin mit U in Deutschland blieb, wo das Kind in die erste Klasse der Grundschule in C eingeschult wurde.

In der Folge wurde in Deutschland ein Ehescheidungsverfahren vor den AG Kamen geführt. Die Ehe wurde mit Urteil des AG Kamen vom 25.6.2007 - rechtskräftig seit 14.8.2007 - geschieden.

Nach einer Versöhnung kehrte die Antragsgegnerin zusammen mit U im Dezember 2007 zum Antragsteller nach Polen zurück. Die Eheleute lebten dort wieder zusammen. U besuchte in der Folgezeit die dortige Grundschule. Am 11.3.2008 wurde der gemeinsame Sohn der Beteiligten, U2, geboren. Der Antragsteller wurde - wie bei U - in die Geburtsurkunde eingetragen.

Im Dezember 2010 kam es zur endgültigen Trennung der Kindeseltern. Die Antragsgegnerin verließ mit den beiden Kindern die eheliche Wohnung und zog zunächst in die Ferienwohnung ihrer eigenen Eltern in Polen ein.

Zwischen dem Antragsteller und den Kindern gab es in der Folgezeit Umgangskontakte, deren genauer Umfang zwischen den Beteiligten streitig ist.

Am 11.6.2011 verließ die Antragsgegnerin mit den beiden Kindern U und U2 Polen und siedelte nach Deutschland um. Dort lebte sie zunächst im Haushalt ihrer eigenen Eltern und bezog später eine eigene Wohnung. Eine explizite Zustimmung des Antragstellers zu einem Umzug mit den beiden Kindern nach Deutschland erfolgte nicht.

U wurde wieder in ihre alte Grundschule eingeschult, musste dort allerdings ein Schuljahr wiederholen. Sie besucht gegenwärtig die vierte Klasse.

U2 besucht den Kindergarten Villa Kunterbunt in C.

Beide Kinder sprechen sowohl deutsch als auch polnisch.

Am 22.2.2012 ist der Rückführungsantrag des Kindesvaters beim AG Hamm eingegangen.

Der Antragsteller hat erstinstanzlich die Rückführung von U und U2 nach Polen unter Berufung darauf beantragt, dass die Antragsgegnerin sein Mitsorgerecht verletzt habe.

Die Antragsgegnerin hat beantragt, den Antrag zurückzuweisen.

Sie hat behauptet, der Antragsteller habe zu keinem Zeitpunkt Kontakt zu seinen Kindern aufgenommen, seit sie mit den Kindern nach Deutschland gekommen sei. Erst kurz vor dem Termin habe er zum Geburtstag des gemeinsamen Sohnes einen Brief und Geschenke geschickt. Sie sei praktisch gezwungen gewesen, Polen zu verlassen, da sie in Polen keine Arbeit gefunden habe und der Antragsteller keinen Unterhalt gezahlt habe. In Deutschland habe sie durch ihre Eltern Unterstützung erfahren können. Bereits im Sommer 2010 habe sie mit dem Antragsteller darüber gesprochen, dass sie mit den Kindern nach Deutschland gehen wolle. Der Antragsteller habe ihr daraufhin gesagt, dass sie die gemeinsame Tochter U mitnehmen und "sich verpissen" könne, er aber nicht wolle, dass der Sohn das Land verlasse. Kurz vor ihrem Weggang sei die Sprache wiederum auf einen Umzug nach Deutschland gekommen. Der Antragsteller habe hierauf überhaupt nicht geantwortet. Der Antragsteller habe ein Kind aus einer anderen Beziehung, welches mit der Mutter nach Großbritannien gegangen sei. Der Antragsteller habe hiergegen nichts unternommen, so dass sie davon ausgegangen sei, dass er auch gegen einen Weggang nach Deutschland nichts unternehmen werde. Es sei auf jeden Fall angezeigt, die beiden Kinder zusammen zu lassen. In Deutschland könne sie den Kindern ein besseres Leben ermöglichen. Ein Mediator in Polen habe gesagt, dass der Sohn auf jeden Fall bei ihr bleiben solle. U habe zudem schlechte Erfahrung mit der neuen Lebensgefährtin des Antragstellers machen müssen. Man habe ihr dort das Gefühl gegeben, nicht zuhause zu sein. Zudem habe man die Tochter der Lebensgefährtin des Antragstellers deutlich vorgezogen...

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