Leitsatz (amtlich)

Das Recht auf rechtliches Gehör ist nicht verletzt, wenn das Gericht aus dem Vortrag des Beteiligten abweichende Schlüsse zieht. Das Gericht ist lediglich dann gehalten, auf die eigene Rechtsansicht hinzuweisen, wenn sie für den Beteiligten nicht voraussehbar ist; das kommt insbesondere in Betracht, wenn das Gericht von seiner bisherigen Rechtsprechung oder seiner bisher geäußerten Rechtsansicht abweichen will.

 

Tenor

Der Antrag auf Nachholung rechtlichen Gehörs wird auf Kosten des Verurteilten als unbegründet verworfen.

 

Gründe

I.

Durch rechtskräftiges Urteil vom 28. März 2006 hat das Landgericht Hagen den Verurteilten wegen Betruges in vier Fällen unter Einbeziehung der durch Urteil des Landgerichts Hamburg vom 07. Juli 2004 verhängten Strafen und Auflösung der dort gebildeten Gesamtstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten und wegen Betruges in vier Fällen sowie eines versuchten Betruges zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt.

Mit Antrag vom 18. September 2007 hat der Verurteilte die Wiederaufnahme des Verfahrens begehrt und den Aufschub der Vollstreckung beantragt.

Den Wiederaufnahmeantrag hat das Landgericht Bochum mit Beschluss vom 21. Januar 2008 als unzulässig verworfen und den Antrag auf Vollsteckungsaufschub abgelehnt.

Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde hat der Senat mit Beschluss vom 14. April 2008 verworfen und den Antrag auf Vollstreckungsaufschub zurückgewiesen.

Gegen diesen Senatsbeschluss richtet sich der Antrag des Verurteilten auf Nachholung rechtlichen Gehörs vom 03. Juni 2008.

Zur Begründung trägt der Antragsteller im wesentlichen vor, dass der Senat zuvor seine Rechtsauffassung nicht mitgeteilt habe, dass wesentliches Beschwerdevorbringen unberücksichtigt geblieben sei, so z.B. dass es sich um eine Urteilsabsprache gehalten habe und insoweit der herkömmliche Wiederaufnahmemaßstab nicht anzuwenden sei. Der Senat habe bei seiner Entscheidung nicht auf den gesamten Akteninhalt zurückgreifen dürfen und ein Schriftsatz von Rechtsanwältin S. vom 18. April 2008 sei bei der Entscheidung nicht mehr berücksichtigt worden.

II.

Der Antrag auf Nachholung rechtlichen Gehörs war zu verwerfen.

Nach der Neufassung des § 33a StPO durch das Anhörungsrügengesetz vom 9. Dezember 2004 (s. BGBl. I., S. 3220) ist das Verfahren durch Beschluss in die Lage zurückzuversetzen, die vor dem Erlass der Entscheidung bestanden hat, wenn das Gericht bei einem Beschluss den Anspruch eines Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat, diesem gegen den Beschluss keine Beschwerde und kein anderes Rechtsmittel zusteht und er dadurch noch beschwert ist.

Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben. Es liegt keine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör vor. Die Neufassung des § 33a StPO geht auf die Entscheidung des Plenums des Bundesverfassungsgerichts vom 30. April 2003 (NJW 2003, 1924 = BVerfGE 107, 395) zurück. Danach erfasst § 33a StPO jetzt ausdrücklich jede Art der Verletzung rechtlichen Gehörs (vgl. auch Meyer-Goßner, 48. Aufl., § 33 a Rn. 1 a ; siehe auch zum Gesetzesentwurf die BT-Drucksachen 15/3966 und 15/3706). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sichert das Grundgesetz rechtliches Gehör im gerichtlichen Verfahren durch das Verfahrensgrundrecht des Art. 103 Abs. 1 GG. Rechtliches Gehör ist nicht nur ein "prozessuales Urrecht" des Menschen, sondern auch ein objektivrechtliches Verfahrensprinzip, das für ein rechtsstaatliches Verfahren im Sinne des Grundgesetzes schlechthin konstitutiv ist (vgl. BVerfGE 55, 1 (6) = NJW 1980, 2698). Seine rechtsstaatliche Bedeutung ist auch in dem Anspruch auf ein faires Verfahren gem. Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) sowie in Art. 47 Abs. 2 der Europäischen Grundrechte-Charta anerkannt. Der Einzelne soll nicht nur Objekt der richterlichen Entscheidung sein, sondern vor einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Wort kommen, um als Subjekt Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen zu können (vgl. BVerfGE 9, 89 (95) = NJW 1959, 427 ). Rechtliches Gehör sichert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten im Prozess eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können. Insbesondere sichert es, dass sie mit Ausführungen und Anträgen gehört werden (BVerfG NJW 2003, 1924; Beschluss des hiesigen 4. Strafsenats vom 23. Februar 2006 in 4 Ws 319 und 320/05).

§ 33a StPO erfasst aber nicht jede Verletzung rechtlichen Gehörs. Vielmehr muss das Recht auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt worden sein. Das ist nach der Gesetzesbegründung nur dann der Fall, wenn die unterbliebene Anhörung sich auf das Ergebnis der Entscheidung ausgewirkt hat (BT-Drucks. 15/3707, S. 17). Hätte der Betroffene nichts anderes vortragen können, sich also nicht anders verteidigen können, als er tatsächlich bereits vorgetragen hat oder ist es sonst ausgesch...

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