Leitsatz (amtlich)
Die Äußerung des Sachverständigen im Rahmen der mündlichen Erstattung und Erläuterung seines Gutachtens, die Stellung eines Beweisantrages durch eine Partei stelle sich als Prozesshanselei dar, begründet Zweifel an der Unbefangenheit des Sachverständigen.
Wird die Frage der Befangenheit des Sachverständigen bereits in der mündlichen Verhandlung erörtert und beantragt deie Partei diesbezüglich die Gewährung einer Stellungnahmefrist, liegt keine rügelose Verhandlung zum Ergebnis der Beweisaufnahme und zur Sache vor mit der Folge, dass der Rechtsgedanke des § 43 ZPO nicht entsprechend herangezogen werden kann.
Normenkette
ZPO §§ 42-43, 406 Abs. 2 S. 2
Verfahrensgang
LG Bochum (Aktenzeichen I-6 O 258/11) |
Tenor
Das Gesuch der Beklagten vom 8.6.2015, den Sachverständigen Prof. Dr. med. X wegen Besorgnis der Befangenheit zu entpflichten, wird für begründet erklärt.
Gründe
I. Die Parteien streiten um Ansprüche aus einem Verkehrsunfall, der sich am 19.4.2010 in X1 ereignet hat. Die volle Haftung der Beklagten dem Grunde nach steht außer Streit, streitig sind jedoch der Umfang der durch den Unfall verursachten Verletzungen der Klägerin sowie deren Folgen.
Das LG hat nach Vernehmung des Zeugen Dr. L und Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. med. X sowie dessen mündlicher Erläuterung im Termin vom 27.6.2013 der Klage im Wesentlichen stattgegeben. Die Beklagte hat das Urteil mit der Berufung angegriffen.
Mit Beweisbeschluss vom 21.2.2014 hat der Senat ein unfallanalytisches Gutachten des Sachverständigen Dr. C eingeholt und auf dessen Grundlage zunächst mit Beschluss vom 12.12.2014 eine schriftliche Ergänzung des Gutachtens des Sachverständige Prof. Dr. med. X angeordnet und diesen sodann mit Verfügung vom 13.3.2015 zur mündlichen Erläuterung der schriftlichen Gutachten vom 6.8.2012 und 8.1.2015 sowie des mündlich erstatteten Gutachtens vom 27.6.2013 unter Berücksichtigung der Ergebnisse des unfallanalytischen Gutachtens des Sachverständigen Dr. C vom 7.8.2014 zum Senatstermin am 29.5.2015 geladen.
Nach seiner Anhörung im Senatstermin vom 29.5.2015 hat der Sachverständige Prof. Dr. med. X auf den Antrag des Beklagtenvertreters hin, den Zeugen Prof. Dr. med. T dazu zu vernehmen, was die Klägerin bei ihrer Untersuchung am 3.5.2010 zu ihren aktuellen Beschwerden geäußert und ob, wie und mit welchem Ergebnis Prof. Dr. med. T sie untersucht habe, erklärt: "Das ist doch nur eine Prozesshanselei, was Sie betreiben."
Der Sachverständige Prof. Dr. med. X hat im Verlaufe der mündlichen Verhandlung sodann ergänzend erklärt, er wolle die Äußerung so verstanden wissen, dass seiner Erfahrung nach ein Arzt nach fünf Jahren kaum noch eine konkrete Erinnerung an den Untersuchungsgang bei Patienten habe und damit keine weiteren aufklärenden Fakten entstehen würden; gleichwohl entschuldige er sich und nehme die Bemerkung zurück.
Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten hat sodann beantragt, ihm eine Schriftsatzfrist einzuräumen, um mit der Beklagten besprechen und beraten zu können, ob ein Befangenheitsantrag gegen den Sachverständigen gestellt werden solle.
Anschließend hat er zur Sache und zum Ergebnis der Beweisaufnahme verhandelt.
Mit Schriftsatz vom 8.6.2015, am gleichen Tage bei Gericht eingegangen, hat die Beklagte den Sachverständigen Prof. Dr. med. X als befangen abgelehnt.
Zur Begründung führt sie aus, der Vorwurf der Prozesshanselei impliziere die unsachliche Herabwürdigung als Prozesshansel, an dieser Beleidigung ändere auch die Entschuldigung auf die Reaktion des Prozessbevollmächtigten hin nichts. Auch habe der Sachverständigen in den Beweisantrag des Beklagtenvertreters hineingeredet, um das Gericht dahingehend zu beeinflussen, diesem Antrag nicht nachzukommen. Die unzulässige Beweisantizipation sei überdies der Form nach beleidigend geäußert worden, so dass die Beklagte annehmen müsse, der Sachverständige sei ihr gegenüber nicht neutral und sachlich eingestellt.
Der Befangenheitsantrag habe auch nicht früher gestellt werden können, da die Beklagte erstmals durch Telefonat mit ihrem Prozessbevollmächtigten am 5.6.2015 von den Vorgängen erfahren habe.
In seiner durch den Senat eingeholten Äußerung vom 25.6.2015 zu dem Befangenheitsgesuch hat der Sachverständige die Entschuldigung wiederholt, hierbei insbesondere seine Äußerung als unprofessionell bezeichnet und sein Bedauern geäußert. Ferner hat er ausgeführt, er betrachte das Ansinnen, dass sich ein Arzt ca. 5 Jahre nach einer Untersuchung noch ausreichend sicher an den Gesprächsverlauf über das, was in der Ambulanzkarte dokumentiert war, erinnern kann, weiterhin als sehr bis vollkommen abwegig.
Er widerspricht ferner der Ansicht, seine Aussage habe eine die Person des Prozessbevollmächtigten beleidigende Äußerung dargestellt, zumal er sich nach dessen Reaktion entschuldigt und die Äußerung zurückgenommen habe.
II. Das Befangenheitsgesuch hat Erfolg.
1. Das Befangenheitsgesuch vom 8.6.2015, am gleichen Tage bei Gericht eingegangen, ist z...