Entscheidungsstichwort (Thema)

Geschwindigkeitsüberschreitung. verkehrsberuhigter Bereich. Schrittgeschwindigkeit. Bestimmtheitsgebot

 

Leitsatz (amtlich)

a. Der Begriff der Schrittgeschwindigkeit genügt ungeachtet der hierzu in der obergerichtlichen Rechtsprechung vertretenen unterschiedlichen Auffassungen grundsätzlich dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG.

b. Die derzeit gegebene Uneinheitlichkeit in der obergerichtlichen Rechtsprechung, in welcher der Begriff der Schrittgeschwindigkeit teilweise bzw. überwiegend mit max. 7 km/h definiert, teilweise aber auch mit max. 10 km/h angegeben wird, führt unter Berücksichtigung des Bestimmtheitsgebotes bzw. des auch im Ordnungswidrigkeitenrecht geltenden Schuldprinzips dazu, dass einem Betroffenen unabhängig von der konkreten Kenntnis verschiedener gerichtlicher Entscheidungen und unabhängig von der Frage, welche der verschiedenen Auffassungen nach Bewertung des Senats als vorzugswürdig anzusehen wäre, ein Verstoß gegen das Gebot der Schrittgeschwindigkeit allenfalls erst bei Überschreitung des Wertes von 10 km/h zur Last gelegt werden kann, solange keine verbindliche Entscheidung des Bundesgerichtshofs oder eine entsprechende gesetzliche Klarstellung vorliegt.

 

Normenkette

GG Art. 103 Abs. 2; StVO § 42 Abs. 2, 2 Anl. 3 Abschn. 4 Zeichen 325.1

 

Verfahrensgang

AG Dortmund (Entscheidung vom 12.07.2019; Aktenzeichen 739 Owi 206/19)

 

Tenor

Das angefochtene Urteil wird dahingehend abgeändert, dass gegen die Betroffene unter Wegfall des angeordneten Fahrverbotes wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaft eine Geldbuße in Höhe von 100,00 € festgesetzt wird.

Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens hat die Betroffene zu tragen, jedoch wird die gerichtliche Gebühr um 1/2 ermäßigt. Die Landeskasse hat 1/2 der der Betroffenen im Rechtsbeschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

 

Gründe

I.

Mit dem angefochtenen Urteil vom 12. Juli 2019 hat das Amtsgericht Dortmund gegen die Betroffene wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 31 km/h eine Geldbuße i.H.v. 160,00 € verhängt und gleichzeitig ein Fahrverbot von einem Monat festgesetzt.

Nach den Feststellungen des Urteils hatte die Betroffene am 13. November 2018 gegen 16:27 Uhr (aus einer "Tempo-30-Zone" kommend) die Straße "N" in E, bei welcher es sich um eine verkehrsberuhigte Zone (Verkehrszeichen 325.1) handelt, mit einer gemessenen Geschwindigkeit von 41 km/h befahren, woraus sich unter Berücksichtigung des Toleranzabzuges von 3 km/h eine vorwerfbare Geschwindigkeit von 38 km/h ergab.

Bei Festsetzung der Rechtsfolge ist das Amtsgericht davon ausgegangen, dass die Betroffene verpflichtet gewesen wäre "ihre Geschwindigkeit auf max. 7 km/h" zu reduzieren, so dass ihr eine fahrlässige innerörtliche Geschwindigkeitsüberschreitung von 31 km/h anzulasten sei.

Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Betroffenen, mit welcher vornehmlich beantragt wird, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Betroffene freizusprechen. Gerügt wird die Verletzung sachlichen Rechts, wobei sich die weiteren Ausführungen vornehmlich dazu verhalten, dass das Nichtabsehen von der Verhängung eines Fahrverbots rechtsfehlerhaft gewesen sei.

II.

Die vom Einzelrichter gemäß § 80a Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 OWiG dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern zur Entscheidung übertragene Rechtsbeschwerde hat insoweit Erfolg, als die festgesetzte Geldbuße im Wege einer eigenen Sachentscheidung des Senats gemäß § 79 Abs. 6 OWiG auf einen Betrag von 100,00 € unter gleichzeitigem Wegfall des angeordneten Fahrverbots festzusetzen war.

1.

Soweit sich die Rechtsbeschwerde gegen die Feststellung des Amtsgerichts richtet, die Betroffene habe den verkehrsberuhigten Bereich der innerorts gelegenen Straße "N" in E mit einer vorwerfbaren Geschwindigkeit von 38 km/h befahren, ist sie offensichtlich unbegründet im Sinne der §§ 349 Abs. 2 StPO, 79 Abs. 3 OWiG.

2.

Die im Rahmen der Rechtsfolgenentscheidung zugrunde gelegte Schlussfolgerung des Amtsgerichts, der Betroffenen sei eine Geschwindigkeitsüberschreitung in Höhe von 31 km/h vorzuwerfen, da in dem verkehrsberuhigten Bereich eine Geschwindigkeit von maximal 7 km/h zulässig gewesen sei, hält demgegenüber rechtlicher Überprüfung nicht stand.

Gemäß § 42 Abs. 2 StVO i.V.m. dem Verkehrszeichen 325.1 in Abschnitt 4 der Anlage 3 (zu § 42 Absatz 2) darf in einem verkehrsberuhigten Bereich nur "Schrittgeschwindigkeit" gefahren werden. Eine nähere gesetzliche Definition dieses Begriffes findet sich nicht.

Nach dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG muss jedermann vorhersehen können, welches Handeln mit welcher Sanktion bedroht ist und sich entsprechend darauf einstellen können. Diese notwendige Vorhersehbarkeit ist dann nicht gegeben, wenn das Gesetz einen Straf- oder Bußgeldtatbestand zu unbestimmt fasst. Der Begriff der "Schrittgeschwindigkeit" wird dem Bestimmtheitsgebot n...

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