Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsmittelverzicht. strafprozessuale Verständigung

 

Leitsatz (amtlich)

Der Wirksamkeit eines vom Angeklagten erklärten Rechtsmittelverzichts steht die Regelung des § 302 Abs. 1 S. 2 StPO nicht entgegen, wenn dem Urteil keine Verständigung gemäß § 257c StPO unter - zumindest informeller (vgl. BGH, NStZ 2014, 113) - Beteiligung des Gerichts vorangegangen ist. Eine analoge Anwendung des § 302 Abs. 1 S. 2 StPO kommt bei einer Verständigung zwischen dem Angeklagten und der Staatsanwaltschaft ohne gestaltende Beteiligung des Gerichts nicht in Betracht.

 

Normenkette

StPO §§ 257c, 302 Abs. 1 S. 2

 

Verfahrensgang

LG Dortmund (Aktenzeichen 48 Ns 15/16)

 

Tenor

Die Revision wird als unzulässig verworfen.

Die Kosten des Rechtsmittels sowie die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen trägt der Angeklagte (§ 473 Abs. 1 StPO).

Der Antrag des Nebenklägers, ihm in der Revisionsinstanz Prozesskostenhilfe für die Hinzuziehung von Rechtsanwalt X in X zu bewilligen, wird zurückgewiesen.

 

Gründe

Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm hat in ihrer Antragsschrift vom 08.05.2017 insbesondere Folgendes ausgeführt:

"I.

... Das Amtsgericht - Schöffengericht - Unna hat den Angeklagten am 12.04.2016 wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt (Bl. 129 - 132R d.A.).

Auf die hiergegen rechtzeitig eingelegte (Bl. 124 - 125 d.A.) Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Dortmund die Berufungshauptverhandlung am 20.10.2016 (Bl. 195 - 206 d.A.) und 26.10.2016 (Bl. 235 - 238 d.A.) durchgeführt.

Im Rahmen des Fortsetzungstermins am 26.10.2016 hat - ausweislich des Protokolls - eine Erörterung der Sach- und Rechtslage stattgefunden. Nach Unterbrechung hat der Pflichtverteidiger "nach Rücksprache und im ausdrücklichen Einverständnis mit dem Angeklagten" die Beschränkung der Berufung auf die Überprüfung des Rechtsfolgenausspruchs erklärt. Diese Erklärung ist vorgelesen und genehmigt worden, der Vertreter der Staatsanwaltschaft hat der Beschränkung zugestimmt (Bl. 236 d.A.).

Mit Urteil vom selben Tag hat das Landgericht Dortmund die Berufung des Angeklagten verworfen (Bl. 240 - 247 d.A.).

Im Anschluss an die Urteilsverkündung hat der Angeklagte im Einverständnis mit seinem Pflichtverteidiger die Annahme des Urteils und den Verzicht auf Rechtsmittel erklärt. Diese Erklärung ist vorgelesen und genehmigt worden, der Vertreter der Staatsanwaltschaft hat ebenfalls Rechtsmittelverzicht erklärt (Bl. 238 d.A.).

Gegen das ihm auf Anordnung des Vorsitzenden vom 23.11.2016(Bl. 253 d.A.) am 03.12.2016 (Bl. 248, 248R d.A.) zugestellte Urteil des Landgerichts Dortmund vom 26.10.2016 hat der Angeklagte mit am 02.11.2016 bei dem Landgericht Dortmund eingegangenem Telefax-Schreiben seines (neuen) Verteidigers vom selben Tag (Bl. 239 d.A.) Revision eingelegt und diese mit am 02.01.2017 bei dem Landgericht Dortmund eingegangenem Telefax-Schreiben seines Verteidigers vom selben Tag (Bl. 258 - 265 d.A.) begründet.

Der Nebenkläger hat mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 01.02.2017 (Bl. 284 d.A.) die Gewährung von Prozesskostenhilfe (auch) im Revisionsverfahren beantragt.

II.

1.

Die gemäß § 333 StPO statthafte Revision des Angeklagten ist zwar rechtzeitig eingelegt und form- und fristgerecht begründet worden.

Sie erweist sich jedoch als unzulässig, weil das angefochtene Urteil des Landgerichts Dortmund bereits am 26.10.2016 in Rechtskraft erwachsen ist. Der Angeklagte hat eindeutig, vorbehaltlos, ausdrücklich und damit wirksam auf Rechtsmittel verzichtet und das Urteil angenommen (§ 302 Abs. 1 StPO). Diese Prozesserklärung ist grundsätzlich unwiderruflich und unanfechtbar (zu vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58 Aufl. 2015, § 302 Rn. 21 m.w.N.), soweit nicht der Angeklagte zum Zeitpunkt der Erklärung verhandlungsunfähig gewesen ist (zu vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O, § 302 Rn. 8a m.w.N), dem Urteil eine Verständigung gemäß § 257 c StPO vorausgegangen (§ 302 Abs. 2 StPO) oder der Wille des Erklärenden in unzulässiger Weise beeinflusst worden ist (zu vgl. BGH, Urteil vom 06. Dezember 1961 - 2 StR 485/60 - = BGHSt 17, 14-21, zitiert nach [...]). Dies ist hier nicht der Fall.

a)

Zweifel an der prozessualen Handlungsfähigkeit des Angeklagten bestehen nicht.

b)

Der Wirksamkeit des von dem Angeklagten erklärten Rechtsmittelverzicht steht - entgegen der Auffassung des Angeklagten - nicht die Vorschrift des § 302 Abs. 2 StPO entgegen, da dem Urteil eine Verständigung gemäß § 257 c StPO nicht vorausgegangen ist.

Das Hauptverhandlungsprotokoll enthält - worauf die Revision zutreffend hinweist - Feststellungen gemäß § 273 Abs. 1 a S. 1 oder 3 StPO nicht, sodass es insoweit seine Beweiskraft (§ 274 StPO) verliert und im Freibeweisverfahren zu prüfen ist, ob und ggfls. mit welchem Inhalt eine Verständigung getroffen worden ist, wobei der Beschwerdeführer den Zeitpunkt, die Form und den Inhalt der Verständigung darzulegen hat (zu vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 273 Rn. 12 c, § 32...

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