Leitsatz (amtlich)
Zur Annahme von Fluchtgefahr, wenn der Angeklagte die Zeit der Außervollzugsetzung des Haftbefehls nicht zur Flucht genutzt hat.
Verfahrensgang
LG Hagen (Entscheidung vom 06.02.2008) |
Tenor
Die Haftbeschwerde wird auf Kosten des Angeklagten (§ 473 Abs. 1 StPO) verworfen.
Gründe
I.
Gegen den Angeklagten ist ein Verfahren wegen Vergewaltigung anhängig. In diesem ist am 16. März 2006 gegen den Angeklagten ein Haftbefehl erlassen worden (54 Gs 139/06 AG Schwelm). Der Angeklagte ist am 17. März 2006 vorläufig festgenommen worden und hat sich dann bis zum 01. Juni 2006 in Untersuchungshaft befunden. Von dieser ist er durch Beschluss des Amtsgerichts Schwelm vom 01.06.2006 (54 Gs 139/06) verschont worden.
Am 15. November 2006 hat die Staatsanwaltschaft Hagen Anklage erhoben. Danach hat das Landgericht mit dem Beschluss vom 24. Juli 2007 den Haftbefehl neu gefasst und in Vollzug gesetzt. Der Angeklagte hat sich aufgrund dieses Beschlusses dann vom 03. August 2007 bis zum 16. August 2007 in Untersuchungshaft befunden. Am 16. August 2007 ist der Vollzug des Haftbefehls durch Beschluss des Landgerichts vom selben Tage ausgesetzt worden.
Die Strafkammer hat während laufender Hauptverhandlung am 18. Oktober 2007 den Haftbefehl sodann wieder in Vollzug gesetzt und auf den Haftgrund der Verdunklungsgefahr gestützt, weil der Angeklagte einen Zeugen beeinflusst hatte. Der Angeklagte befindet sich seit dem 18. Oktober 2007 nunmehr in Untersuchungshaft.
Er ist durch Urteil des Landgerichts vom 06. Februar 2008 wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren verurteilt worden. Mit Verkündung des Urteils ist der Haftbefehl des Amtsgerichts Schwelm vom 16. März 2006 von der Strafkammer neu gefasst und in Vollzug gesetzt sowie nach Maßgabe des Urteils aufrechterhalten worden. Als Haftgrund hat die Strafkammer Fluchtgefahr gem. § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO angenommen. Gegen das Urteil des Landgerichts Hagen haben sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt. Die Staatsanwaltschaft hat ihre Revision mit der materiellen Rüge begründet. Sie hatte in der Hauptverhandlung eine Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 9 Monaten und die Anordnung von Sicherungsverwahrung beantragt.
Der Angeklagte wendet sich nunmehr gegen den Beschluss vom 06. Februar 2008. Das Landgericht hat seiner Haftbeschwerde nicht abgeholfen. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Haftbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.
II.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat ihren Verwerfungsantrag wie folgt begründet:
"Der dringende Tatverdacht gegen den Angeklagten ergibt sich aus dem Ermittlungsergebnis, das in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Hagen vom 15.11.2006 (Bl. 285 ff. Bd. II d. A.) zutreffend wiedergegeben wird. Dementsprechend ist das Landgericht Hagen durch Urteil vom 06.02.2008 zu der Überzeugung gelangt, dass der Angeklagte sich einer Vergewaltigung schuldig gemacht hat. Neue Tatsachen, die zu einer Entkräftung des dringenden Tatverdachts führen könnten, sind nicht bekannt geworden und werden von dem Angeklagten auch nicht vorgetragen.
Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO. Der Angeklagte ist zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden, die erfahrungsgemäß einen erheblichen Fluchtanreiz darstellt. Zwar vermag allein eine hohe Straferwartung die Fluchtgefahr im Sinne von § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO grundsätzlich nicht zu begründen (zu vgl. Senatbeschluss vom 27.11.1998 - 2 Ws 554/98 - m.w.N.; OLG Hamm, NStZ-RR 2000, 188). Vielmehr müssen bestimmte Tatsachen vorliegen, die den Schluss rechtfertigen, der Angeklagte werde dem in der hohen Straferwartung liegenden Fluchtanreiz nachgeben. Die Beurteilung der Fluchtgefahr erfordert die Berücksichtigung aller Umstände des Falles, wozu insbesondere die Lebensverhältnisse des Angeklagten und sein bisheriges Verhalten während des Verfahrens zählen (zu vgl. Senatsbeschluss vom 20.02.2003 - 2 Ws 55/03 - m. w. N.).
Die Gesamtschau aller Umstände des Einzelfalls führt vorliegend dazu, dass Fluchtgefahr besteht. Zwar ist zutreffend, dass der Angeklagte sich dem Verfahren bislang gestellt hat. Das Landgericht hat jedoch in dem Beschluss vom 31.03.2008 zutreffend ausgeführt, dass sich der Fluchtanreiz für den nach wie vor bestreitenden Angeklagten angesichts der nunmehr erfolgten Verurteilung zu einer erheblichen Freiheitsstrafe deutlich erhöht hat und demgegenüber tragfähige soziale Bindungen, die geeignet wären, die Fluchtgefahr auszuräumen, nicht erkennbar sind. So war die Beziehung des erheblich in Erscheinung getretenen, ledigen Angeklagten zu seinen Eltern ausweislich des psychiatrisch-psychologischen Gutachtens vom 30.09.2007 bislang von Konflikten und Kontaktabbrüchen gekennzeichnet (Bl. 470 ff. Bd. III d. A.).Soweit nunmehr Kontakte bestehen sollten, erscheinen diese danach nicht geeignet, einer Fluchtgefahr wirksam zu begegnen. Auch bestehen Zweifel an der Tragfähigkeit der Beziehung des Angeklagten zu seiner Lebensgefährtin. ...