Entscheidungsstichwort (Thema)
Sicherstellung des Existenzminimums des beim anderen Elternteil lebenden Kindes
Leitsatz (amtlich)
1. Grundsätzlich ist jeder Elternteil verpflichtet, das Existenzminimum des bei dem anderen Elternteil lebenden Kindes sicherzustellen, auch wenn er selbst ein weiteres gemeinsames Kind betreut.
2. Haben zunächst nach der Trennung alle Kinder einverständlich bei der Mutter gelebt, so kann sich daraus eine Vereinbarung der Eltern herleiten, dass sich die Mutter vorrangig der Kinderbetreuung widmen soll. Eine solche Vereinbarung kann nicht ohne weiteres aufgekündigt werden, wenn ein Kind zum Vater wechselt.
Normenkette
BGB §§ 1601 ff.
Verfahrensgang
AG Hamm (Beschluss vom 08.05.2006; Aktenzeichen 32 F 76/06) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin vom 19.5.2006 wird der Beschluss des AG Hamm vom 8.5.2006 teilweise abgeändert.
Der Antragstellerin wird Prozesskostenhilfe für den Antrag bewilligt, die Antragsgegnerin ab Juli 2006 zur Zahlung von Kindesunterhalt i.H.v. monatlich 191 EUR zu verurteilen.
Im Umfang der Bewilligung wird ihr Rechtsanwalt N. aus W. zu den Bedingungen eines beim AG Hamm zugelassenen Anwalts beigeordnet.
Die weiter gehende Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Gerichtsgebühren für das Beschwerdeverfahren werden auf die Hälfte ermäßigt.
Gründe
I. Die Antragstellerin ist die am 24.8.1990 geborene Tochter der Antragsgegnerin aus deren seit dem 10.1.2006 geschiedener Ehe mit ihrem Vater. Sie hat nach der Trennung der Eltern zunächst bei der Antragsgegnerin gelebt, die zwei weitere aus der Ehe hervorgegangene Kinder betreut: C., geboren am 24.12.1991, und J., geboren am 17.11.1998. Durch Vergleich vom 11.2.2003 hat sich der Ehemann der Antragsgegnerin zur Zahlung von Trennungsunterhalt und Barunterhalt unterschiedlicher Höhe für die drei Kinder verpflichtet.
Im Lauf des Januar 2006 ist die Antragstellerin zu ihrem Vater gewechselt. Sie will deshalb ihre Mutter ab Februar 2006 auf Zahlung des Mindestunterhalts i.H.v. monatlich 291 EUR in Anspruch nehmen. Dafür hat sie Prozesskostenhilfe beantragt.
Diesen Antrag hat das AG mit der Begründung zurückgewiesen, die Antragsgegnerin sei nicht leistungsfähig, da sie auf Grund der Betreuung des noch nicht 10 Jahre alten J. nicht mehr arbeiten müsse, als sie es mit einem Verdienst von monatlich 144 EUR tue.
Dagegen richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin, die geltend macht, es sei durch nichts belegt, dass die Antragsgegnerin nur über Einkünfte unterhalb des Selbstbehalts verfüge. Darüber hinaus müsse sie sich zumindest vorhalten lassen, dass sie mehr arbeiten könnte, während J. in der Schule sei.
II. Die Beschwerde ist zulässig und hat teilweise Erfolg. Da die Antragsgegnerin ihrer Tochter grundsätzlich gem. den §§ 1601 ff. BGB unterhaltspflichtig ist und die Frage ihrer Erwerbsobliegenheit und Leistungsfähigkeit entgegen der Auffassung des AG weiterer Aufklärung bedarf, ist Prozesskostenhilfe zur Geltendmachung des Betrages zu bewilligen, den die Antragsgegnerin bei vollschichtiger Tätigkeit aufbringen könnte.
1. Grundsätzlich kann sich ein Elternteil dem Unterhaltsanspruch des nicht bei ihm lebenden Kindes nicht mit der Begründung entziehen, er betreue dessen Bruder oder Schwester. Vielmehr ist er verpflichtet, das Existenzminimum des vom anderen betreuten Kindes sicherzustellen, wenn er dazu nach seinen beruflichen Fähigkeiten ohne Gefährdung seines Selbstbehalts in der Lage ist (Wendl/Staudigl, Das Unterhaltsrecht in der familiengerichtlichen Praxis, 6. Aufl., § 2 Rz. 315).
Zwar wird eine Vollzeiterwerbsverpflichtung des Ehegatten, der ein gemeinsames Kind betreut und Unterhalt für sich verlangt, frühestens angenommen, wenn dieses Kind das 15. Lebensjahr vollendet hat, doch setzt die Obliegenheit zur Erwerbstätigkeit wesentlich früher ein, wenn es wie hier um einen Fall gesteigerter Unterhaltspflicht ggü. einem minderjährigen Kind geht (OLG Bremen v. 19.7.2004 - 4 WF 68/04, OLGReport Bremen 2004, 468 = FamRZ 2005, 647 ff.). Auch der nichtehelichen Mutter wird gem. § 1615 Abs. 1 BGB in der Regel zugemutet, ihren Unterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit sicherzustellen, wenn das Kind 3 Jahre alt geworden ist.
Da die Antragsgegnerin im Juli 1989 eine Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau abgeschlossen und anschließend noch ein Jahr in diesem Beruf gearbeitet hat, geht der Senat davon aus, dass sie beim Neueinstieg in ihrem erlernten Beruf einen Stundenlohn von 9 EUR erzielen könnte. Daraus errechnet sich auf der Grundlage einer monatlichen Arbeitszeit von 167 Stunden ein Bruttoverdienst von 1.503 EUR. Davon würden netto übrig bleiben:
Bruttoverdienst 1.503,00 EUR
./. Lohnsteuern (Steuerklasse 2, 1,5 Kinderfreibeträge) 99,50 EUR
./. Kirchensteuern 0,00 EUR
./. RV-Beitrag 146,54 EUR
./. KV-Beitrag (Beitragssatz 13,5 %) 114,97 EUR
./. PV-Beitrag 12,77 EUR
./. AV-Beitrag 48,85 EUR
Nettoverdienst 1.080,37 EUR
Unter Berücksichtigung des für (voll) Erwerbstätige maßgeblichen Selbstbehalts von 890 EUR stünden der Antragsgegnerin also bei Erfüllun...