Leitsatz (amtlich)

Ein Sicherungsbedürfnis i.S.v. § 1960 Abs. 1 S. 1 BGB ist auch ohne konkrete Gefährdung des Nachlasses anzunehmen, wenn der Erbe unbekannt ist und dieser ohne Ermittlung durch das Nachlassgericht bzw. durch einen Nachlasspfleger niemals Kenntnis vom Anfall der Erbschaft erhalten würde.

Bei der Bestimmung des Aufgabenkreises des Teilnachlasspflegers ist zum einen das Bedürfnis der als Erben des verbleibenden Miterbenanteils in Betracht kommende Personen zu berücksichtigen wie auch das Bedürfnis, den odere die unbekannten Erben in der von den bekannten Miterben angestrebten Erbauseinandersetzung zu vertreten.

 

Normenkette

BGB § 1960

 

Verfahrensgang

AG Bielefeld (Beschluss vom 03.04.2014; Aktenzeichen 114 VI 112/14)

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragsteller vom 2.5.2014 wird der Beschluss des Rechtspflegers des AG - Nachlassgericht - Bielefeld vom 3.4.2014 abgeändert.

Es wird Teilnachlasspflegschaft für den nach Ausstellung des 1. Teilerbscheins vom 27.2.2014 und des 2. Teilerbscheins vom 3.3.2014 noch verbleibenden restlichen Erbteil von 32,27 % angeordnet, und zwar mit den Wirkungskreisen der Ermittlung des/der unbekannten Erben dieses Erbteils sowie der Vertretung des/der unbekannten Erben bei einer von den Antragstellern betriebenen Erbauseinandersetzung.

Zur Auswahl und Bestellung des Teilnachlasspflegers wird die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das AG zurückverwiesen.

Im zweiten Rechtszug entstandene Gerichtskosten werden nicht erhoben. Im Übrigen werden Kosten des zweiten Rechtszugs nicht erstattet.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 250.000 EUR bestimmt.

 

Gründe

Die Beschwerde der Antragsteller ist zulässig und begründet.

1. a) Die Beschwerde ist statthaft und in der gesetzlich vorgeschriebenen Form und Frist eingelegt worden. Die Statthaftigkeit folgt aus § 11 Abs. 1 RPflG, § 58 Abs. 1 FamFG, weil der angefochtene Beschluss eine Endentscheidung des AG im ersten Rechtszug darstellt. Die Einlegung geschah schriftlich beim AG Bielefeld, dessen Beschluss angefochten wird, und Beschluss und Rechtsbehelf sind auch ausreichend bezeichnet, § 64 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 und 3 FamFG. Die einmonatige Beschwerdefrist des § 63 Abs. 1, Abs. 3 S. 1 FamFG ist gewahrt.

b) Die Antragsteller sind beschwerdeberechtigt i.S.d. § 59 Abs. 1 FamFG. Wird - wie vorliegend - die Einrichtung einer Nachlasspflegschaft abgelehnt, ist beschwerdebefugt, wer ein rechtliches Interesse an der Abänderung des ablehnenden Beschlusses hat (Wildemann in juris-PK BGB, 7. Aufl. 2014, § 1960 Rz. 47). Ein solches rechtliches Interesse haben nicht nur Nachlassgläubiger, denen ein Antragsrecht gem. § 1961 BGB zusteht, sondern auch Miterben, die wegen der Ungewissheit über die Existenz und Identität eines etwaigen weiteren Miterben ohne die Einrichtung einer Teilnachlasspflegschaft auf eine nicht absehbare Zeit gehindert wären, ihren Auseinandersetzungsanspruch gem. § 2042 Abs. 1 BGB zu verfolgen.

c) Der Beschwerdewert des § 61 Abs. 1 FamFG i.H.v. 600 EUR ist überschritten. Der Gesamtwert des Nachlasses beträgt 775.000 EUR, hiervon entfällt ein Anteil von ca. 400.000 EUR auf die Antragstellerin zu 1) und jeweils ca. 62.500 EUR auf die Antragstellerinnen zu 2) und 3) sowie von ca. 250.000 EUR auf den/die übrigen Erben.

2. a) Der Senat hat das Begehren der Antragstellerin entsprechend §§ 133, 157 BGB dahin ausgelegt, dass keine Nachlasspflegschaft für den gesamten Nachlass, sondern lediglich eine Teilnachlasspflegschaft für den Erbteil des/der noch unbekannten Miterben eingerichtet werden soll.

b) Die nun beschlossene Anordnung der Nachlasspflegschaft war gem. § 1960 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 BGB geboten. Danach hat das Nachlassgericht bis zur Annahme der Erbschaft für die Sicherung des Nachlasses - was insbesondere durch Bestellung eines Nachlasspflegers erfolgen kann - zu sorgen, wenn der Erbe unbekannt oder wenn ungewiss ist, ob er die Erbschaft angenommen hat.

Unbekannt ist ein Erbe, wenn mehr als unerhebliche Zweifel an seiner Existenz oder Identität bestehen oder die Erbenstellung einer Person zweifelhaft ist. Bei der Beurteilung, ob der Erbe unbekannt ist, ist vom Standpunkt des Nachlassgerichts bei der Entscheidung über die Anordnung der Sicherungsmaßnahmen auszugehen. Kann sich der Tatrichter nicht ohne umfängliche Ermittlungen davon überzeugen, wer von mehreren in Betracht kommenden Personen Erbe geworden ist, ist der Erbe unbekannt (Wildemann in juris-PK BGB, 7. Aufl. 2014, § 1960 Rz. 7-8). Da es sich bei einer Nachlasspflegschaft um eine Personenpflegschaft für den zurzeit noch nicht bekannten Erben handelt, ist für jedes Erbteil und jeden möglichen Erben gesondert zu prüfen, ob die Voraussetzungen einer Nachlasspflegschaft vorliegen. Sind nur einzelne Erben unbekannt, kann keine Gesamtpflegschaft angeordnet werden, sondern nur eine Teilpflegschaft für diese unbekannten Erben (vgl. OLG Schleswig Holstein, Beschl. v. 6.6.2014 - 3 Wx 27/14, juris Rz. 28).

Vorliegend ha...

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