Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorläufiger Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts
Leitsatz (amtlich)
1. Der vorläufige Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts (als Teil der elterlichen Sorge) im Wege der einstweiligen Anordnung setzt voraus, dass ein dringendes Bedürfnis für ein unverzügliches Einschreiten des FamG besteht, welches ein Abwarten bis zur Beendigung der notwendig erscheinenden Ermittlungen nicht gestattet und eine sofortige Maßnahme zur Abwendung der dem Kind drohenden Gefahren erfordert.
2. Ist die einstweilige Anordnung bereits über einen längeren Zeitraum vollzogen, entspricht es grundsätzlich nicht dem Wohl des Kindes, die getroffene Maßnahme im Beschwerdeverfahren ohne schwerwiegende Gründe abzuändern und einen erneuten Ortswechsel des Kindes herbeizuführen.
3. Bei einem 13 Jahre alten Kind spricht für die Ernsthaftigkeit und Beachtlichkeit seiner Willensbildung, dass es den von ihm geäußerten Willen nachvollziehbar begründen kann.
Normenkette
BGB §§ 1666, 1666a; ZPO § 620 Nr. 1
Verfahrensgang
AG Iserlohn (Beschluss vom 23.03.2006) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Beteiligten zu 1) (Kindesmutter) gegen den Beschluss des AG - FamG - Iserlohn vom 23.3.2006 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass das Jugendamt H. als Ergänzungspfleger für die Ausübung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für die beiden betroffenen Kinder K. und N. bestellt wird.
Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Der Beschwerdewert beträgt 1.000 EUR.
Gründe
I. Die Beschwerdeführerin - und alleinige Inhaberin der elterlichen Sorge für die beiden betroffenen Kinder - wendet sich mit der sofortigen Beschwerde gegen die vorläufige Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts (als Teil der elterlichen Sorge) für das noch minderjährige (am ... 1992 geborene) Kind K. und Übertragung desselben auf das Jugendamt H.. Mit dem angefochtenen Beschluss wurde ihr zugleich das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das weitere Kind N. (geboren am ... 1994) entzogen und auf das Jugendamt übertragen.
II. Die gem. §§ 621g, S. 2, 620c S. 1, 19 Abs. 1, 20 FGG zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Das FamG hat der Beschwerdeführerin das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das - nicht von ihrem Lebenspartner, Herrn S. abstammende - Kind K. zurecht einstweilen entzogen.
a) Der Erlass der vorläufigen Maßnahme war erforderlich, weil - jedenfalls zum Zeitpunkt der Beschlussfassung - ein dringendes Bedürfnis für ein unverzügliches Einschreiten des FamG bestand, welches ein Abwarten bis zur Beendigung der notwendig erscheinenden Ermittlungen nicht gestattete und eine sofortige Maßnahme zur Abwendung der den Kindern drohenden Gefahren durch unverschuldetes Versagen (Erziehungsfehlverhalten) der Beschwerdeführerin und Kindesmutter erforderte (OLG Brandenburg FamRZ 2004, 210; OLG Zweibrücken FamRZ 2005, 745).
Konkrete Anhaltspunkte für ein entsprechendes Erziehungsfehlverhalten der Kindesmutter ergeben sich sowohl aus den Bekundungen des - seit Dezember 2005 von ihr getrennt lebenden - Lebensgefährten, Herrn S., als auch aus den Berichten des zuständigen Jugendamts und den Äußerungen der Kinder ggü. dem Jugendamt und dem Gericht. Der Lebenspartner und die Kinder haben übereinstimmend berichtet, dass es mehrfach zu unkontrollierten Wutausbrüchen der Kindesmutter ggü. Herrn S. und dessen leiblichen Sohn N. gekommen sei, die kurz nach Weihnachten 2005 darin gegipfelt hätten, dass sie die Weihnachtsgeschenke des Sohnes zerstört und den Weihnachtsbaum aus dem Fenster geworfen haben soll. Außerdem soll sie am 8.1.2006 im Beisein des Kindes K., mit einem Messer in der Hand, damit gedroht haben, sich die Pulsadern aufzuschneiden. Das beschriebene Verhalten der Mutter führte dazu, dass sie sich mehrfach (ab dem 19.11.2005 und vom 11.1.2006 bis zum 31.1.2006) in geschlossener psychiatrischer Behandlung in der H.-Klinik in H. befunden hat und beide Kinder mittlerweile den Kontakt zu ihr verweigern.
Ob diese - von der Kindesmutter im Wesentlichen bestrittenen - Vorwürfe gegen sie berechtigt sind und ob es sich dabei ggf. nur um einen vorübergehenden Zustand handelt, d.h. die Mutter in der Lage ist ihr Verhalten dauerhaft zu kontrollieren und kindgerecht auszugestalten, muss der Überprüfung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Jedenfalls ist aus derzeitiger Sicht eine fortwirkende Gefährdung der Kinder im mütterlichen Haushalt nicht auszuschließen.
Unter den vorliegenden Umständen war die Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts durch das FamG auch verhältnismäßig i.S.d. § 1666a I BGB, zumal es sich dabei nur um eine vorübergehe Maßnahme handelt und vor vollständiger Aufklärung des Sachverhalts nicht beurteilt werden kann, ob und ggf. welche alternativen Maßnahmen in Betracht kommen, um eine mögliche (und derzeit wahrscheinliche) Gefährdung für die Kinder abzuwenden.
b) Die zum Zeitpunkt des Erlasses der vorläufigen Maßnahme vorliegenden Umstände haben sich - entgegen der Ansicht der Kindesmutter - au...