Entscheidungsstichwort (Thema)
Strafvollstreckungsverfahren. Befangenheit. Privatsachverständiger. Beteiligte im Anhörungsverfahren. faires Verfahren. unzulässige Beschränkung der Verteidigung
Leitsatz (amtlich)
Die Weigerung der Strafvollstreckungskammer, dem Verurteilten im Verfahren über die Aussetzung einer lebenslangen Freiheitsstrafe einen angemessenen Zeitraum zur Überprüfung des seitens des Gerichts eingeholten Sachverständigengutachtens durch einen von ihm selbst beauftragten Privatsachverständigen einzuräumen, und die in diesem Rahmen ebenfalls folgende Ablehnung des Antrages, dem Privatsachverständigen im Termin zur Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen gemäß § 454 Abs. 2 S. 3 StPO als sachverständigen Berater der Verteidigung die Teilnahme im Termin zu gestatten, verstößt gegen die Grundsätze des fairen Verfahrens, schränkt die Verteidigung unzulässig ein und begründet die Besorgnis der Befangenheit der beteiligten Richter.
Normenkette
StPO § 24 Abs. 2, § 454 Abs. 2 S. 3
Verfahrensgang
LG Essen (Aktenzeichen III StVK 4/15) |
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Das gegen den Vorsitzenden Richter am Landgericht M, die Richterin am Landgericht T1 und den Richter am Landgericht Dr. T gerichtete Befangenheitsgesuch des Verurteilten vom 11. März 2016 wird für begründet erklärt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Verurteilten hat die Landeskasse zu tragen.
Gründe
I.
Der Verurteilte verbüßt eine mit Urteil des Landgerichts Köln vom 13. November 1993 wegen Mordes in Tatmehrheit mit versuchtem Mord verhängte lebenslange Gesamtfreiheitsstrafe. In dem Urteil wurde zudem die besondere Schwere der Schuld festgestellt und die Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung angeordnet.
Der Verurteilte begehrt die vorzeitige Entlassung aus dem Strafvollzug. Er reichte hierzu über seinen Verteidiger mit Schriftsatz vom 28. April 2015 den Vorschlag ein, mit einer neuen Begutachtung Herrn Prof. Dr. T4, Universitätsklinikum Aachen, zu beauftragen. Abweichend von diesem Vorschlag bestellte die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 07. Mai 2015 Frau Prof. Dr. y2 aus X zur Sachverständigen, deren 120 Seiten umfassendes Gutachten, nach dessen Ergebnis die in der Tat des Verurteilten zutage getretene Gefährlichkeit noch fortbestehe, am 28. Dezember 2015 bei der Strafvollstreckungskammer einging. Mit Verfügung des stellvertretenden Kammervorsitzenden Richter am Landgericht Dr. T vom 18. Januar 2016 wurde - nach telefonischer Rücksprache mit dem Büro des Verteidigers - Termin zur Anhörung der Sachverständigen bestimmt auf den 04. Februar 2016. Mit Schriftsatz vom 21. Januar 2016 bat der Verteidiger "trotz vorheriger telefonischer Absprache mit dem Sekretariat des Unterzeichners" um Terminsverlegung, da er sich am 04. Februar 2016 im Urlaub befinde. Daraufhin übersandte der stellvertretende Kammervorsitzende dem Verteidiger am 04. Februar 2016 folgendes Anschreiben:
"Nachdem Ihrerseits der - nach Absprache mit Ihrem Büro - auf den 04.02.2016 anberaumte Anhörungstermin wieder abgesagt worden war, vereinbarten wir in der letzten Woche fernmündlich, dass Sie mir zwecks Anberaumung eines neuen Anhörungstermins umgehend eine Aufstellung sämtlicher Termine für die Monate März und April 2016 zukommen lassen würden, an welchen sie nachmittags für eine Anhörung zur Verfügung stehen. Ungeachtet dessen ist eine derartige Aufstellung hier in der Folgezeit nicht eingegangen.
Vor diesem Hintergrund wird Ihnen hiermit aufgegeben, bis zum 11.02.2016 eine Aufstellung sämtlicher Termine für die Zeit ab dem 15.02.2016 bis einschließlich Mai 2016 zu übersenden, an denen sie nachmittags für eine Anhörung zur Verfügung stehen. In diese Aufstellung soll aufgenommen werden, ab welcher Uhrzeit Sie an den jeweiligen Tagen zur Verfügung stehen."
Hierauf erwiderte der Verteidiger des Verurteilten mit Faxanschreiben vom 12. Februar 2016 wie folgt:
"Sehr geehrter Herr Dr. T
In der oben bezeichneten Angelegenheit nehme ich Bezug auf Ihr Fax vom 04.02.2016.
Ich habe meinerseits mehrfach versucht, mit Ihnen persönlich telefonischen Kontakt aufzunehmen. Leider waren sie durchgehend in Sitzungen.
Ich habe unser letztes Gespräch etwas anders in Erinnerung, als es offensichtlich Ihr Eindruck war, der sich aus dem Inhalt des vorgenannten Schreibens ergibt.
Der Hintergrund ist der, dass ich, wie ich es Ihnen ebenfalls in unserem Gespräch mitteilte, einen weiteren externen Sachverständigen beauftragt habe, die Gutachten der Frau Dr. T3 (Anm. des Senats: gemeint ist ersichtlich Frau Dr. T2) und der Frau Dr. y2 prüfen. Der Gutachter, Herr Dr. Q, der hier beim Landgericht N einen ausgezeichneten Namen hat, braucht dafür voraussichtlich den Monat März.
Um die Anhörung der Frau Dr. y2 zweckmäßig durchführen zu können, benötige ich den Rat dieses Sachverständigen.
Ihre Entscheidung, die sich auf die Gutachten der Frau Dr. T3 und der Frau Dr. y2 stützen wird, hat ganz erhebliche Auswirkungen auf die Zukunft ...