Leitsatz (amtlich)
Bei der Entscheidung über die Beiordnung eines Pflichtverteidigers sind alle Umstände zu berücksichtigen.
Verfahrensgang
LG Bochum (Entscheidung vom 26.05.2003) |
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben. Dem Angeklagten wird ein Pflichtverteidiger beigeordnet. Die Auswahl des Pflichtverteidigers erfolgt durch den Vorsitzenden der Strafkammer.
Gründe
I.
Das Amtsgericht hat den Angeklagten mit Urteil vom 11. März 2003 wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 4 Monaten verurteilt. Dagegen hat der Angeklagte Berufung eingelegt und die Beiordnung eines Pflichtverteidigers beantragt. Dies hat der Vorsitzende der Strafkammer in dem angefochtenen Beschluss abgelehnt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.
II.
Die Beschwerde des Angeklagten ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
Dem Angeklagten ist gem. § 140 Abs. 2 StPO ein Pflichtverteidiger beizuordnen. Nach dieser Vorschrift ist einem Angeklagten u.a. dann ein Pflichtverteidiger beizuordnen, wenn dies wegen der "Schwere der Tat" geboten erscheint. Die "Schwere der Tat" beurteilt sich nach ständiger Rechtsprechung der Obergerichte (vgl. dazu Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl., § 140 Rn. 23 f. sowie Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 3. Aufl., Rn. 1232 ff., jeweils mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung der Oberlandesgerichts; sowie aus der Rechtsprechung des Senats NStZ-RR 1998, 243 = StraFo 1998, 164, 269; wistra 1997, 318; VRS 100, 307 = StV 2002, 237 [Ls.]) vor allem nach der zu erwartenden Rechtsfolgenentscheidung, nämlich ob die zu erwartende Rechtsfolge einschneidend für den Angeklagten ist (vgl. u.a. Meyer-Goßner, a.a.O.; siehe auch OLG Hamm StV 1993, 180; sowie u.a. noch die Beschlüsse des Senats vom 21. Februar 1995 - 2 Ss 136/95 - und vom 11. September 1995 - 2 Ss 1018/95). Daneben sind aber auch die Verteidigungsfähigkeit und sonstige schwer wiegende Nachteile, die der Angeklagte infolge der Verurteilung zu erwarten hat, von Bedeutung (vgl. die Rechtsprechungsnachweise bei Burhoff, a.a.O., Rn. 1232 f. und den o.a. Beschluss des Senats in wistra 1997, 318).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze muss hier dem Angeklagten ein Pflichtverteidiger beigeordnet werden. Zwar ist der Angeklagte (noch) nicht zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr ohne Bewährung verurteilt worden, was nach wohl überwiegender Meinung in Rechtsprechung und Literatur, der auch die ständige Rechtsprechung des Senats entspricht (vgl. nur den bereits erwähnten Beschluss des Senats vom 21. Februar 1995), in der Regel ohne weiteres die Beiordnung eines Pflichtverteidigers erforderlich gemacht hätte (Meyer-Goßner, a.a.O., § 140 Rn. 23 mit weiteren Nachweisen). Die übrigen zu berücksichtigenden Umstände wiegen vorliegend jedoch derart schwer, dass, obwohl "nur" eine 4-monatige Freiheitsstrafe gegen den Angeklagten festgesetzt worden ist, die Beiordnung eines Pflichtverteidigers erforderlich war. Insoweit übersieht der Senat nicht, dass es sich bei der dem Angeklagten zur Last gelegten Tat um den zumindest rechtlich einfachen Vorwurf des Fahrens ohne Fahrerlaubnis gehandelt hat. Von Bedeutung ist jedoch, dass dem Angeklagten, der in der Vergangenheit bereits nicht unerheblich strafrechtlich in Erscheinung getreten ist, in einem Verfahren wegen der hier abgeurteilten Taten der Widerruf von Strafaussetzung zur Bewährung droht. Dabei handelt es sich um die durch Urteil vom 16. September 1999 wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis festgesetzte Freiheitsstrafe von drei Monaten, deren Vollstreckung für die Dauer von drei Jahren zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Außerdem ist gegen den Angeklagten noch das Verfahren 4 Ns 6 Js 176/01 LG Bochum anhängig, in dem er durch gesamtstrafenfähiges Urteil vom 14. März 2003 wegen Betruges zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt worden ist. Zwar hat die Strafkammer die Strafvollstreckung in diesem Verfahren zur Bewährung ausgesetzt. Die Verurteilung ist jedoch mit der im vorliegenden Verfahren ggf. ergehenden Verurteilung gesamtstrafenfähig, sodass, da sich damit vorliegend erneut die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung stellt, der Angeklagte möglicherweise mit längerem, nämlich ggf. rund einem Jahr dauernden, Strafvollzug rechnen muss.
Nach allem ist damit die Beiordnung eines Pflichtverteidigers erforderlich; der den Beiordnungsantrag des Angeklagten - ohne jede nähere Begründung - ablehnende Beschluss des Landgerichts ist für den Senat nicht nachvollziehbar. Demgemäß hat der Senat den angefochtenen Beschluss aufgehoben und dem Angeklagten einen Pflichtverteidiger beigeordnet. Die Auswahl des Pflichtverteidigers obliegt dem Vorsitzenden der Berufungskammer (§ 142 StPO).
Fundstellen