Entscheidungsstichwort (Thema)

Revision. Urteilsaufhebung im Rechtsfolgenausspruch. Begründungsanforderungen an die Verfahrensrüge wegen Abwesenheit der Angeklagten während eines wesentlichen Teils der Hauptverhandlung (§§ 230 Abs. 1, 231 Abs. 1 S. 1, 338 Nr. 5 StPO). Aufklärungsrüge. Anforderungen an die Begründung der Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe (§ 47 StGB)

 

Leitsatz (amtlich)

Die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe ist nur dann unerlässlich im Sinne des § 47 StGB, wenn eine andere schuldangemessene Sanktion keinesfalls ausreicht und auf sie nicht verzichtet werden kann. Da die spezialpräventive Wirkung kurzer Freiheitsstrafen vom Gesetzgeber für den Regelfall gerade verneint wird, bedarf es einer besonders sorgfältigen Gesamtwürdigung und Begründung, wenn im Einzelfall nach Meinung des Tatrichters gleichwohl eine andere Sanktion als eine kurze Freiheitsstrafe nicht ausreicht. Dieses dem Ausnahmecharakter der Vorschrift Rechnung tragende Erfordernis ist auch bei mehreren einschlägigen Vorstrafen und Rückfälligkeit während des Laufs einer Bewährungszeit zu beachten.

 

Normenkette

StPO §§ 230-231, 333, 338 Nr. 5; StGB § 47

 

Verfahrensgang

LG Essen (Aktenzeichen 33 Ns 124/15)

AG Hattingen (Entscheidung vom 24.06.2015)

 

Tenor

Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird insoweit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Essen zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

 

Gründe

I.

Mit Urteil des Amtsgerichts Hattingen vom 24. Juni 2015 (vgl. Blatt 408 ff Band II der Akten) wurde die Angeklagte wegen Betruges in zwei Fällen unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Hattingen vom 19. Januar 2011, Az. 2 Ds 161/10, nach Auflösung der dort gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt.

Des Weiteren wurde sie wegen Betruges in sechs Fällen unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Hattingen vom 02. April 2014, Az. 2 Ls 57/13, nach Auflösung der dortigen Gesamtfreiheitsstrafe, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt.

Zudem wurde sie wegen Betruges und Urkundenfälschung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt.

Mit dem hier angefochtenen Urteil der XIII. kleinen Strafkammer des Landgerichts Essen vom 30. Januar 2018 (vgl. Blatt 549 ff Band III der Akten) wurde die Angeklagte unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils wegen Betruges in acht Fällen unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Hattingen vom 02. April 2014, Az. 2 Ls 57/13, nach Auflösung der dortigen Gesamtfreiheitsstrafe, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten sowie wegen Betruges und Urkundenfälschung zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt. Die weitergehende Berufung wurde verworfen.

Gegen dieses in ihrer und ihres damaligen Verteidigers Rechtsanwalt K Anwesenheit am 30. Januar 2018 verkündete Urteil wendet sich die Angeklagte mit dem Rechtsmittel der Revision, eingelegt per Telefax-Schreiben ihres damaligen Verteidigers Rechtsanwalt K am 30. Januar 2018 (vgl. Blatt 542 Band III der Akten). Rechtsanwalt K war der Angeklagten mit Beschluss des Vorsitzenden der XIII. kleinen Strafkammer vom 19. Dezember 2017 als Pflichtverteidiger beigeordnet worden; zugleich wurde Rechtsanwalt Dr. L, der der Angeklagten mit Beschluss des Amtsgerichts Hattingen vom 30. März 2015 als Pflichtverteidiger beigeordnet worden war, entpflichtet (vgl. Blatt 472 R Band III der Akten). Mit Schriftsatz vom 07. März 2018 zeigte Rechtsanwalt Dr. L unter Vorlage einer Strafprozessvollmacht erneut die Vertretung der Angeklagten an und teilte mit, dass diese Rechtsanwalt K das Mandat entzogen habe (vgl. Blatt 574a und b Band III der Akten). Mit Schriftsatz vom 07.04.2018, eingegangen per Telefax-Schreiben beim Landgericht Essen am selben Tage, begründet Rechtsanwalt Dr. L die bereits eingelegte Revision mit der Verletzung formellen und materiellen Rechts und beantragt,

das angefochtene Urteil mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache an eine andere Strafkammer zurückzuverweisen (vgl. Blatt 575 ff Band III der Akten).

Im Rahmen der umfassend erhobenen Sachrüge reklamiert die Revision im Besonderen eine fehlerhafte Anwendung des § 47 StGB. Zudem habe die Strafkammer im Rahmen ihrer Erwägungen zur Sozial- und Legalprognose die Bemühungen der Angeklagten zur Therapiesuche, hinsichtlich derer mit der Revisionsbegründung erstmals eine Aufstellung überreicht wird, nicht berücksichtigt. Des Weiteren wird die Abwesenheit der Angeklagten im Fortsetzungstermin vom 09. Januar 2018 gerügt; diese begründe eine absolute Revisibilität i.S.d. § 338 Nr. 5 StPO. Endlich habe die Strafkammer ihre Aufklärungspflicht aus § 244 Abs. 2 StPO verletzt, indem sie von der ...

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