Leitsatz (amtlich)
Unterlassenes Einschreiten gegen sexuelle Belästigungen von Angestellten durch einen Mitgeschäftsführer kann grundsätzlich eine die fristlose Kündigung des Geschäftsführeranstellungsvertrags rechtfertigende Pflichtverletzung darstellen. Es bedarf jedoch einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls.
Normenkette
GmbHG § 35; BGB § 626
Verfahrensgang
LG Paderborn (Urteil vom 13.06.2006; Aktenzeichen 6 O 12/06) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das am 13.6.2006 verkündete Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des LG Paderborn wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten der Berufung.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagten bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit i.H.v. 120 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages leistet.
Gründe
A. Der Kläger war bei der Beklagten, die früher in Rechtsform einer AG bestand und dann in eine GmbH umgewandelt wurde, zunächst Vorstand und dann Geschäftsführer. Die Umwandlung wurde am 1.11.2005 ins Handelsregister eingetragen. Mit Schreiben vom 3.11.2005 berief die Beklagte, vertreten durch ihre Alleingesellschafterin, den Kläger mit sofortiger Wirkung als "Vorstand bzw. Geschäftsführer" ab und erklärte zugleich die fristlose Kündigung seines Anstellungsvertrages. Sie hat dies mit behaupteten Untreuehandlungen des Klägers begründet.
Mit der Klage hat der Kläger die Feststellung beantragt, dass Abberufung und Kündigung unwirksam sind, er weiterhin Geschäftsführer ist und das "Arbeitsverhältnis" unverändert fortbesteht.
Das LG hat dem lediglich hinsichtlich des Anstellungsverhältnisses entsprochen, weil es insoweit an ausreichenden Kündigungsgründen fehle, und die Klage im Übrigen abgewiesen.
Gegen dieses Urteil, auf das wegen weiterer Einzelheiten seiner Begründung sowie des Parteivorbringens in erster Instanz verwiesen wird, richtet sich die Berufung der Beklagten, die die Abweisung der Klage in vollem Umfang begehrt.
Dabei greift sie die Begründung des angefochtenen Urteils nicht an, sondern stützt sich ausschließlich auf zwei neu nachgeschobene Kündigungsgründe, die ihr erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz bekannt geworden seien:
Zum einen habe der Mitgeschäftsführer L zwei Angestellte der Beklagten, die Zeuginnen I und C, mehrfach sexuell belästigt, indem er bei Gelegenheit von Besprechungen unter dem Schreibtisch ihre Beine und ihren Intimbereich fotografiert habe oder sie auf eine Leiter steigen ließ, um Gegenstände von höheren Regalen herabzuholen, und sie dann unter den Rock fotografiert habe. Hiervon habe der Kläger durch die Zeugin L2 erfahren, sei aber nicht dagegen eingeschritten.
Zum anderen habe der Kläger dem technischen Mitarbeiter G2 der Beklagten am 29.6.2006 mehrere hochwertige Gegenstände aus dem Betriebsvermögen, insb. Avionik für Flugzeuge der Marke G sowie Bildschirme im Gesamtwert von ca. 60.000 EUR übergeben, die er zuvor aus dem Sicherheitsbereich der Klägerin entfernt und "zumindest zeitweise seinem Privatvermögen einverleibt habe".
Der Beklagte bestreitet diese Vorwürfe. Von den Anschuldigungen, dass der Mitgeschäftsführer L Angestellte sexuell belästigt haben soll, habe er erstmals anlässlich dessen Kündigung im Mai 2006 erfahren. Vorher sei ihm das nie zu Ohren gekommen. Er bestreitet auch mit Nichtwissen, dass die Vorwürfe zutreffen, sowie, dass die Beklagte von den Anschuldigungen erst nach der erstinstanzlichen Verhandlung in diesem Verfahren Kenntnis erlangt habe.
Zutreffend sei zwar, dass er dem Zeugen G2 am 29.6.2006 Avioniken übergeben habe. Indessen habe er diese Gegenstände niemals auch nur zeitweilig seinem Privatvermögen einverleibt, sondern diese seien zunächst wegen unbezahlter Rechnungen mit einem Pfandrecht der Fa. B in X, N, USA, belastet gewesen und ihm nach Bezahlung der Rechnungen zur Weiterleitung an die Beklagte übergeben worden, was er unverzüglich veranlasst habe.
Der Senat hat zu dem Vorwurf mangelnden Einschreitens gegen sexuelle Belästigungen von Angestellten durch den Mitgeschäftsführer L Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 9.1.2007 (Bl. 314 GA) durch uneidliche Vernehmung der Zeuginnen L2 und I. Wegen des Beweisergebnisses wird auf den Vermerk des Berichterstatters zur mündlichen Verhandlung vom 1.3.2007 Bezug genommen.
B. Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Das Anstellungsverhältnis des Klägers ist durch die von der Beklagten ausgesprochene fristlose Kündigung nicht beendet worden. Auch die in zweiter Instanz nachgeschobenen Kündigungsgründe vermögen diese Kündigung nicht zu tragen.
I. Zwar ist die Geltendmachung dieser Kündigungsgründe im Berufungsverfahren noch möglich.
Zum einen hat die Beklagte schlüssig dargelegt, von diesen Gründen erst nach der letzten mündlichen Verhandlung in erster Instanz Kenntnis erlangt zu haben, so dass keine Nachlässigkeit i.S.v. § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO vorliegt.
Zum anderen handel...