Leitsatz (amtlich)
1. Den vom gegenüberliegenden Gehsteig kommenden und auf einem Fußgängerüberweg die Fahrbahn in einem Zug überquerenden Pedelec Fahrer trifft bei einer Kollision mit einem Kraftfahrzeug ein Verschulden nach § 10 StVO.
2. Als nicht abgestiegener Fahrer eines Pedelec - mithin als Radfahrer - unterfällt er nicht dem Schutzbereich des § 26 StVO
3. Eine Reaktion des Kraftfahrzeugführers ist nicht bereits dann gefordert, wenn der Pedelec Fahrer vom linksseitigen Rad-/Gehweg auf den Zebrastreifen auf der Gegenfahrbahn auffährt. Eine Reaktionsaufforderung ist erst zu dem Zeitpunkt gegeben, zu dem - vom Pedelec Fahrer zu beweisen - konkrete Anhaltspunkte erkennbar wurden, dass der Pedelec fahrer durchfahren und nicht auf der Mittelinsel halten würde, um der Kraftfahrerin ihren Vor-rang zu gewähren.
Normenkette
BGB § 254; StVG § 7 Abs. 1, § 9; StVO § 10
Verfahrensgang
LG Arnsberg (Aktenzeichen I-4 O 111/16) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 07.03.2017 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 4. Zivilkammer des Landgerichts Arnsberg unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen teilweise abgeändert.
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, den Kläger von weiteren vorgerichtlichen Anwaltskosten seiner Prozessbevollmächtigten in Höhe von 547,95 EUR freizustellen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Parteien dürfen die Vollstreckung der jeweils anderen Seite abwenden durch Sicherheitsleistung von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
I. 1. Wegen des erstinstanzlich vorgetragenen Sachverhalts und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils (Bl. 89 f. GA) Bezug genommen. Zu Unfallörtlichkeit, Unfallsituation, Endpositionen, Spuren und Schadensbild wird auf die polizeilichen Lichtbilder (Bl. 7 ff., 59 ff. BeiA) sowie die als Anlagen dem im vom Landgericht beigezogenen Ermittlungsverfahren eingeholten - vom Landgericht zu Beweiszwecken verwerteten - Gutachten des DEKRA-Sachverständigen Dipl.-Ing. G vom 08.06.2015 beigefügten Lichtbilder und Skizzen (Bl. 78 ff. BeiA) verwiesen.
Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Verwertung des vorgenannten, im Ermittlungsverfahren eingeholten Sachverständigengutachtens und hat sodann - unter Abweisung der weitergehenden Klage - dem Feststellungsbegehren zu einer Quote von 1/3 (statt geltend gemachter 2/3) stattgegeben und die gesamtschuldnerische Verpflichtung der Beklagten zur Freistellung des Klägers von vorgerichtlichen Anwaltsgebühren i.H. von 1.042,96 EUR ausgesprochen. Zur Begründung hat das Landgericht zusammengefasst ausgeführt, im Rahmen der nach §§ 9 StVG, 254 BGB vorzunehmenden Abwägung sei von einem überwiegenden unfallursächlichen Verschulden des Klägers auszugehen; dieser habe den Unfall durch einen Verstoß gegen § 10 StVO (sonstige Verkehrsverstöße seien nicht anzunehmen bzw. in die Abwägung einzustellen) maßgeblich verursacht und könne sich nicht etwa auf einen Vorrang nach § 26 StVO berufen während der Beklagten zu 1) lediglich ein unfallursächlicher Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO (nicht auch ein unfallursächlicher Tempoverstoß) anzulasten sei, weil sie nach dem Gutachten des Sachverständigen G den Unfall bei hier geboten gewesener Reaktion bereits auf das Auffahren des Klägers vom linksseitigen Geh-/Radweg auf den Fußgängerüberweg (gerade so) hätte vermeiden können. Bei dieser Sachlage sei eine Haftung der Beklagten zu einer Quote von 1/3 anzunehmen.
Wegen der landgerichtlichen Begründung im Einzelnen wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
2. Mit seiner gegen diese Entscheidung gerichteten Berufung verfolgt der Kläger sein Klagebegehren, soweit es in erster Instanz ohne Erfolg geblieben ist, weiter, hinsichtlich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten mit der Maßgabe, dass er insoweit nunmehr die Verurteilung zur Freistellung (statt zur Zahlung) begehrt. Zur Begründung trägt er - neben einer pauschalen Bezugnahme auf sein erstinstanzliches Vorbringen - ergänzend im Wesentlichen vor:
Das Landgericht habe zu Unrecht eine Haftungsquote der Beklagten von lediglich 1/3 angenommen. Bei richtiger Beurteilung sei vielmehr die mit der Klage geltend gemachte Haftungsquote der Beklagten von 2/3 gerechtfertigt.
Das Landgericht habe fälschlich unberücksichtigt gelassen, dass der Beklagten zu 1) neben dem festgestellten unfallursächlichen Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO auch ein unfallursächlicher Verstoß gegen § 3 Abs. 1 Satz 1 StVO anzulasten sei. In diesem Zusammenhang sei zu berücksichtigen, dass die Beklagte zu 1) aufgrund einer nach ihrer Darstellung angeblich gegebenen Teilamnesie hinsichtlich des Herganges, namentlich bzgl. ihrer angeblich getätigten Bremsung, nur spekuliere, während unbestritten der damals hinter dem Beklagtenfahrzeug fahre...