Leitsatz (amtlich)
1. Eine Haftung der Volkswagen AG nach § 826 BGB aufgrund einer im Dieselfahrzeug vorhandenen Umschaltlogik betreffend den Fahrzeugtestbetrieb scheidet aus, wenn der Käufer das Fahrzeug nach dem 22.09.2015 erworben hat (Anschluss an BGH, Urteil vom 30.07.2020 - VI ZR 5/20 -).
2. Eine solche Haftung ergibt sich auch nicht aufgrund einer weiteren vorhandenen Abschalteinrichtung in Form eines sogenannten "Thermofensters". Denn die Verwendung einer solchen Abschalteinrichtung allein begründet kein sittenwidriges Verhalten des Fahrzeugherstellers.
Normenkette
BGB §§ 31, 241 Abs. 2, § 280 Abs. 1, § 311 Abs. 2, § 823 Abs. 2, § 826; EG-FGV § 27 Abs. 1; StGB § 263 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Dortmund (Aktenzeichen 2 O 9/18) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 11.06.2019 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 2. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des insgesamt vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
I. Die Klägerin erwarb im Februar 2016 bei der B GmbH in C einen gebrauchten Pkw U 2.0 TDI 81 kW zum Preis von 16.800 EUR. Das Fahrzeug war am 05.04.2012 erstmals zugelassen worden und wies einen Kilometerstand von 77.293 km auf.
Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs EA189 Euro 5 ausgestattet, dessen Herstellerin die Beklagte ist. Die im Zusammenhang mit dem Motor verwendete Software erkennt, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) unterzogen wird und schaltet in diesem Fall vom regulären Abgasrückführungsmodus 0 in einen Stickoxid-optimierten Abgasrückführungsmodus 1. Es ergeben sich dadurch auf dem Prüfstand geringere Stickoxid-Emissionswerte als im normalen Fahrbetrieb. Die Grenzwerte der Euro 5-Norm werden nur im Modus 1 eingehalten.
Vor Abschluss des Kaufvertrages, am 22.09.2015, gab die Beklagte eine Ad-hoc-Mitteilung nach § 15 WpHG sowie eine gleichlautende Presseerklärung heraus, die auszugsweise wie folgt lauten:
"W treibt die Aufklärung von Unregelmäßigkeiten einer verwendeten Software bei Diesel-Motoren mit Hochdruck voran ... Auffällig sind Fahrzeuge mit Motoren vom Typ EA189 mit einem Gesamtvolumen von weltweit rund elf Millionen Fahrzeugen. Ausschließlich bei diesem Motortyp wurde eine auffällige Abweichung zwischen Prüfstandswerten und realem Fahrbetrieb festgestellt. W arbeitet mit Hochdruck daran, diese Abweichungen mit technischen Maßnahmen zu beseitigen. Das Unternehmen steht dazu derzeit in Kontakt mit den zuständigen Behörden und dem Deutschen Kraftfahrtbundesamt."
Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) wertete die Motorsteuerung als unzulässige Abschalteinrichtung und gab im Oktober 2015 der Beklagten durch nachträgliche Nebenbestimmungen zur Typgenehmigung auf, die Vorschriftsmäßigkeit der bereits im Verkehr befindlichen Fahrzeuge zu gewährleisten. Die Beklagte entwickelte in der Folge unter anderem bei Fahrzeugen mit Motoren des Typs EA189 mit 2,0-Liter-Hubraum ein Software-Update. Das KBA gab die Nachrüstung für den hier betroffenen Fahrzeugtyp frei. Die Klägerin ließ das Software-Update am 13.10.2016 aufspielen.
Mit ihrer Klage, der Beklagten am 14.03.2018 zugestellt, verlangt die Klägerin Schadensersatz in Höhe des gezahlten Kaufpreises nebst Zinsen Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs, ferner Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen sowie die Feststellung, dass sich die Beklagte in Annahmeverzug befindet.
Die Klägerin hat behauptet, bei der Entscheidung für den Kauf des streitgegenständlichen Fahrzeugs sei es ihr auch auf dessen Umweltfreundlichkeit angekommen. Ferner sei sie davon ausgegangen, dass das Fahrzeug den gesetzlichen Vorgaben an Zulassung und Betrieb uneingeschränkt entspreche. Bei sicherer Kenntnis von dem Vorhandensein und der Funktionsweise der Motorsteuerungssoftware hätte sie das Fahrzeug nicht erworben. Denn bei der eingesetzten Software handle es sich um eine nach den einschlägigen Vorschriften unzulässige Abschalteinrichtung. Die notwendige EG-Typengenehmigung habe nicht vorgelegen. Es habe deshalb die Gefahr der Zulassungsentziehung und Stilllegung des Fahrzeugs gedroht.
Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, dass die Beklagte vor diesem Hintergrund auf Schadensersatz in Höhe des Fahrzeugkaufpreises hafte. Das folge einerseits aus Verschulden bei Vertragsschluss gemäß § 311 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 BGB. Denn die Beklagte habe durch das Ausstellen der EG-Übereinstimmungsbescheinigung im Sinne des § 27 EG-FGV ein besonderes Vertrauen für sich in Anspruch genommen. Die Übereinstimmungserklärung stelle eine Garantie dahingehend dar, dass das Fahrzeug zum Zeitpunkt seiner Herstellung mit den in der Europäischen Union geltenden Rechtsvorschrif...