Leitsatz (amtlich)
Vor der Durchführung einer Koloskopie ist der Patient auch über die selten auftretende Darmperforation konkret aufzuklären.
Der Hinweis auf "unvermeidbare nachteilige Folgen" wirkt demgegenüber in höchstem Maße verharmlosend.
Bei einem komplikationsträchtigen Krankheitsverlauf mit intensivmedizinischer Langzeitbeatmung, mehreren erlittenen Dekubiti, Spitzfußstellung, künstlichem Darmausgang ist ein Schmerzensgeld von 220.000 EUR angemessen.
Normenkette
BGB §§ 823, 253
Verfahrensgang
LG Bielefeld (Urteil vom 14.02.2012; Aktenzeichen 4 O 340/09) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 14.2.2012 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des LG Bielefeld teilweise abgeändert.
1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger Schmerzensgeld i.H.v. 220.000 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.4.2009 zu zahlen.
2. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 13.762,15 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.4.2009 aus 6.700,27 EUR, sowie nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 7.061,80 EUR seit dem 4.9.2009 zu zahlen.
3. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger künftigen materiellen sowie künftigen, derzeit nicht voraussehbaren immateriellen Schaden zu ersetzen, den dieser aufgrund des rechtswidrigen Eingriffs vom 14.11.2007 noch erleidet, sofern Ansprüche nicht aufgrund gesetzlicher Vorschriften auf Sozialleistungsträger oder andere Dritte übergehen.
4. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 6.011,94 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 4.9.2009 zu zahlen.
Im Übrigen bleibt die Klage abgewiesen. Die weiter gehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung seitens des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe des aus dem Urteil zu vollstreckenden Betrages zzgl. 10 % abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages zzgl. 10 % leistet.
Gründe
I. Aufgrund einer Überweisung seines Hausarztes Dr. U wegen Blutungen beim Stuhlgang in der Zeit zwischen dem 1.9.2007 und dem 10.9.2007 stellte sich der am 2.6.1959 geborene Kläger am 18.9.2007 in der Praxis des Beklagten vor. Nachdem er noch am gleichen Tag eine Einverständniserklärung unterzeichnet hatte, auf deren Inhalt Bezug genommen wird, führte der Beklagte am 14.11.2007 eine Koloskopie mit Polypabtragung durch. In Folge dieses Eingriffs kam es wahrscheinlich nicht unmittelbar, sondern zweizeitig zu einer Darmperforation mit einer Entzündung des Bauchfells. Am 19.11.2007 meldete sich der Kläger telefonisch beim Beklagten, wobei Inhalt und Anlass dieses Telefonats zwischenden Parteien streitig sind. Am 23.11.2007 wurde er wegen massiver Beschwerden stationär aufgenommen. Nach der Diagnose einer Darmperforation wurde der Kläger notfallmäßig operiert und noch bis April 2008 mehrfach operativ sowie zeitweilig auch intensiv-medizinisch mit Langzeitbeatmung behandelt. Wegen der näheren Einzelheiten wird auf den Arztbrief des Diakonie Klinikums P vom 20.4.2008 Bezug genommen. In der Zeit vom 11.5.2008 bis zum 2.6.2008 befand sich der Kläger erneut in stationärer Behandlung wegen einer Bronchopneumonie mit septischem Schock und akuter respiratorische Insuffizienz. Anschließend wurde der Kläger in eine Rehabilitationsklinik verlegt.
Der Kläger hat Schmerzensgeld i.H.v. mindestens 220.000 EUR sowie materiellen Schadensersatz und die Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten für künftige Schäden mit der Begründung geltend gemacht, der Eingriff sei nicht indiziert gewesen. Er, der Kläger, sei nicht ordnungsgemäß über das Risiko einer Peritonitis und das Bestehen von Behandlungsalternativen aufgeklärt worden.
Das LG hat nach Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens und dessen mündlicher Erläuterung sowie nach persönlicher Anhörung der Parteien die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass ein Behandlungsfehler nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht vorgelegen habe. Die durchgeführte Koloskopie sei indiziert gewesen, da nach den Ausführungen des Sachverständigen die Ursache für die Blutungen abzuklären gewesen sei. Es sei nicht behandlungsfehlerhaft, dass eine Wiedervorstellung oder stationäre Einweisung nicht veranlasst worden sei. Der Kläger habe den ihm obliegenden Beweis dafür, dass er den Beklagten nach der Koloskopie telefonisch auf Schmerzen hingewiesen habe, nicht erbracht. Der Kläger sei schließlich auch ordnungsgemäß aufgeklärt worden. Eine Aufklärung über Behandlungsalternativen habe nicht erfolgen müssen, weil eine echte Alternative zur Darmspiegelung nicht bestanden habe. Es könne dahinstehen, ob eine Aufklärung über das Risiko einer Darmperforation erfolgt sei, denn es greife der Einwand der hypothetischen Einwilligung. Einen Entscheidungskonflikt habe der Kläger nicht plau...