Leitsatz (amtlich)
Im Arzthaftungssenat ist bei der Auswahl des Sachverständigen, auf das medizinische Fachgebiet abzustellen, in welches die Behandlung fällt. Stellt sich die Behandlung eines Kleinkindes als "Gemeinschaftsprodukt" mehrerer Facharztabteilungen dar, kann es genügen, wenn auf das Fachgebiet eines daran beteiligten Facharztes abgestellt wird.
Normenkette
BGB §§ 253, 280, 823
Verfahrensgang
LG Siegen (Aktenzeichen 2 O 270/18) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das am 4. September 2020 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Siegen wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufungsinstanz werden der Beklagten auferlegt.
Das angefochtene Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der am 00.00.0000 geborene Kläger nimmt die Beklagte wegen einer vermeintlich fehlerhaften ärztlichen Behandlung im März/April 2014 auf Schmerzensgeld (mind. 80.000,00 EUR), Schadensersatz (Pflege- und Betreuungsmehraufwand 40.430,00 EUR, Fahrtauslagen 1.265,68 EUR, Heilmittelkosten 170,00 EUR, Dokumentenauslagen 101,33 EUR), Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten (4.748,10 EUR) sowie Feststellung zukünftiger Ersatzpflicht in Anspruch.
Der Kläger befand sich nach seiner Geburt zunächst vom 00.00.0000 bis zum 17.04.2014 wegen Frühgeburtlichkeit (32+5 SSW; 1.380 g) und eines Atemnotsyndroms 2. Grades in stationärer Behandlung in der Klinik der Beklagten. Eine Versorgung erfolgte u.a. mit einer Dauertropfinfusion am rechten Arm. Am 19.03.2014 erlitt der Kläger nach zunächst stabilem Allgemeinzustand eine katheterassoziierte Infektion des rechten Armes mit nachfolgender Sepsis, welche ab diesem Tag antibiotisch behandelt wurde. In der Blutkultur wurde Staphylococcus Aureus nachgewiesen.
Am 22.03.2014 zeigte sich eine Weichteilschwellung des linken Beins. Eine Thrombose wurde mittels Sonographie ausgeschlossen, wobei der genaue Zeitpunkt dieser Sonographie streitig ist.
Am 31.03.2014 wurde bei einer Sonographie eine Hüftluxation ausgeschlossen.
Am 02.04.2014 erfolgte eine Sonographie des linken Oberschenkels und der Hüfte. Dabei wurde sonographisch und radiologisch eine Osteomyelitis am oberen Lemur mit (fraglicher) Fraktur diagnostiziert. Es wurde empfohlen, in einer Woche eine Kontrollsonographie durchzuführen und die antibiotische Therapie großzügig fortzusetzen.
Am 06.04.2014 und 07.04.2014 erfolgten Röntgenkontrollen des linken Beins, des linken Ober- und Unterschenkels und des Fußes. Im Bereich der linken Oberschenkelwachstumsfuge und der Metaphyse (Knochenabschnitt zwischen Knochenschaft und Wachstumsfuge) wurde eine unruhige und verwaschene Corticalis-Struktur (Knochengewebe) nachgewiesen.
Am 06.04.2014 waren die Infektionsparameter noch nicht im Referenzbereich, das CRP lag erst ab dem 14.04.2014 im Referenzbereich. Am 17.04.2014 wurde der Kläger in das E-Krankenhaus L verlegt, wo eine Fortsetzung der antibiotischen Therapie bis zum 22.04.2014 erfolgte. Am 28.04.2014 wurde der Kläger entlassen.
Der Kläger hat vorgetragen, bei Kontrolluntersuchungen des MVZ X und einem MRT vom 07.07.2016 habe sich herausgestellt, dass sich bei Zustand nach Säuglingscoxitis an der linken Hüfte eine Pseudarthrose ausgebildet habe und der Hüftkopf stark deformiert sei. Außerdem seien eine Beinverkürzung um ca. 1,5 cm links und ein Beinschiefstand festgestellt worden. Er habe sich vom 15.01.2017 bis zum 23.10.2017 zum Zwecke der Durchführung einer offenen operativen Hüftgelenkseinstellung mit Pfannendachplastik links in der Orthopädischen Klinik E befunden, wo am 16.07.2017 eine siebenstündige Operation stattgefunden habe. Im Anschluss sei für vier Wochen ein Becken-Bein-Gips angelegt worden, mit welchem er nur habe liegen können. Während eines weiteren stationären Aufenthalts vom 15.11.2017 bis 17.11.2017 seien in einer zweistündigen Operation der K-Draht entfernt und ein Gipswechsel auf Spargips durchgeführt worden, den er vier Wochen habe tragen müssen. Am 14.12.2017 sei die Gipsabnahme erfolgt.
Der Kläger hat behauptet, die Behandlung durch die Beklagte sei behandlungsfehlerhaft gewesen. Die zuvor empfohlene sonographische Kontrolluntersuchung des linken Oberschenkels sei ausgeblieben. Außerdem liege ein Hygienefehler vor, da die behandelnde Person bei Legen eines Zugangs oder einer Blutabnahme zumindest einmal die Handschuhe ausgezogen habe. Die pädiatrische Behandlung sei nicht mit der gebotenen ärztlichen Sorgfalt erfolgt. Es sei nach vorangegangener Sepsis und generalisierter, stark ödematöser Schwellung des linken Beins am 10. Tag des stationären Aufenthalts eine zeitnahe bildgebende Diagnostik zum Ausschluss einer Osteomyelitis unterblieben. Nach dem erstmaligen Auftreten der klinischen Symptome seien keine Bildgebung zur weiteren Diagnostik und zum Ausschluss einer sekundären septischen Arthritis und ...