Leitsatz (amtlich)

1. Die Ergebnisse eines wissenschaftlich fundierten und zu einem klaren Ergebnis gelangenden Sachverständigengutachtens sind den abweichenden Angaben der Parteien und unter Zeugenbeweis der behandelnden Ärzte gestellten Tatsachenbehauptungen überlegen.

2. Die Einholung eines psychiatrischen bzw. psychosomatischen Gutachtens kann auch dann geboten sein, wenn der Anspruchsteller seine sich körperlich äußernden Beschwerden ausschließlich auf physische Ursachen stützt und eine psychische Erkrankung infolge des Unfalls ausschließt.

 

Normenkette

BGB § 823; StVG § 7 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Münster (Aktenzeichen 9 U 64/19)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Einzelrichters der 15. Zivilkammer des Landgerichts Münster vom 08.03.2019 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Dieses und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

 

Gründe

I. Die Klägerin nimmt die Beklagten auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens aus einem Verkehrsunfall in Anspruch, der sich am X.X.2014 um 15.30 Uhr ereignete und den der Beklagte zu 1) unstreitig schuldhaft allein verursacht hat.

Die Klägerin befand sich zu besagtem Zeitpunkt als Beifahrerin im Fahrzeug ihres Mannes, der auf der B Straße in C angehalten hatte, um nach links auf das Gelände eines Autohändlers abzubiegen. Der Beklagte zu 1) bemerkte das stehende Fahrzeug zu spät und fuhr darauf auf.

Die Klägerin hat behauptet, sie habe bei dem Unfall eine Halswirbelsäulen-Distorsion (im weiteren HWS-Distorsion) erlitten. Am Abend des Unfalls habe sie unter Übelkeit und Kopfschmerzen gelitten und sich häufig übergeben müssen. Es habe sich ein heftiger Bluterguss im Rücken gebildet. Durch den Unfall sei ihr Leben in gesundheitlicher Hinsicht völlig aus den Fugen geraten. Sie leide bis heute unter dauerhaften unfallbedingten Beschwerden wie einem stechenden Schmerz im mittleren Rücken, zeitweiligem Taubheitsgefühl im rechten Bein, Schlafstörungen, verminderter Kraft im rechten Arm und Beschwerden von der rechten Schulter bis in die rechte Hand, Nackenbeschwerden und Kopfschmerzen. Da sie vor dem streitgegenständlichen Unfallereignis - mit Ausnahme von Rückenproblemen im Vorfeld einer im Mai 2013 durchgeführten Gallensteinoperation - nicht unter Rückenbeschwerden gelitten habe und beschwerdefrei gewesen sei, seien sämtliche Beschwerden allein auf den Unfall vom X.X.2014 zurückzuführen.

Sie habe auch unfallbedingt ihre Arbeitsstelle als Mitarbeiterin bei der Firma D Fleischwaren GmbH verloren. Diese habe das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 6.3. zum 30.4.2014 gekündigt und die unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit, wie sich aus den Gesamtumständen ergebe, zum Anlass der Kündigung genommen. Sie sei auch nicht mehr in der Lage, in der Fleischwarenfabrik als Produktionshelferin zu arbeiten und habe ebenso ihre von Januar bis Oktober 2015 unstreitig verrichtete Tätigkeit bei der Firma E aufgrund ihrer unfallbedingten Beschwerden aufgeben müssen. Ihr sei ein Verdienstausfall in Höhe von 9.280 Euro bis November 2016 entstanden. Sie hält ein Schmerzensgeld von 25.000 Euro für angemessen.

Die Klägerin hat beantragt,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie weitere 9.280 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

3. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind,

a) ihr jeden weiteren immateriellen Schaden zu ersetzen, der ihr aus dem Unfall vom X.X.2014 entstehen wird;

b) ihr alle weiteren materiellen Schäden zu ersetzen, die ihr aus dem Unfall vom X.X.2014 bereits entstanden sind und zukünftig noch entstehen werden.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie haben eine unfallbedingte Primärverletzung im Bereich der Wirbelsäule bestritten und behauptet, dass die von der Klägerin vorgetragenen Beschwerden ausweislich ihrer Krankenunterlagen allein auf unfallunabhängige degenerative Vorerkrankungen zurückzuführen seien. Auch habe die Klägerin schon vor dem streitgegenständlichen Unfall Beschwerden im Bereich der Brust- und Lendenwirbelsäule geäußert, weshalb im November 2013 entsprechende Röntgenaufnahmen unstreitig erstellt worden seien. Die kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung, der die Klägerin als Fahrzeuginsassin ausgesetzt gewesen sei, bewege sich in einer Größenordnung von allenfalls 10 km/h und sei daher nicht geeignet, eine Verletzung der Wirbelsäule bzw. des damit verbundenen Band- und Muskelapparates herbeizuführen. Das verlangte Schmerzen...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?