Leitsatz (amtlich)
Werden beim gerichtlichen Augenschein die tatsächlichen Feststellungen nicht protokolliert und enthält des darauf gestützte Urteil lediglich das würdigende Ergebnis des Augenscheins, begründet das einen Verfahrensfehler, auf den die Berufung gestützt werden kann, so dass dann eigene Feststellungen des Berufungsgerichts geboten sind.
Normenkette
ZPO § 160 Abs. 3 Nr. 5, § 513 Abs. 1, § 546
Verfahrensgang
LG Paderborn (Aktenzeichen 3 O 8/02) |
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das am 17.6.2002 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des LG Paderborn im Leistungsausspruch so weit abgeändert, als der Beklagte verurteilt worden ist, ein Schmerzensgeld von mehr als 2.500 Euro nebst ausgeurteilter Zinsen an den Kläger zu zahlen.
Wegen des Mehrbetrages wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des ersten Rechtszuges werden dem Kläger zu 1/3 und dem Beklagten zu 2/3 auferlegt.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Die Parteien streiten noch über die Höhe des angemessenen Schmerzensgeldes nach einer Tätlichkeit. Der Beklagte schlug dem Kläger bei einem Schützenfest mit einem Bierglas ins Gesicht und fügte ihm dabei Schnittwunden, insb. eine tiefe und insgesamt etwa 15 cm lange Wunde vom rechten Ohr bis zur Mitte des rechten Unterkieferknochens, zu. Das LG hat nach Vernehmung von Zeugen und der Inaugenscheinnahme der von den Schnittwunden verbliebenen Narben des Klägers diese ohne weitere tatsächliche Begründung als entstellend bewertet und dem Kläger – neben materiellem Schadenersatz und der Feststellung einer Ersatzpflicht für künftige Schäden – ein Schmerzensgeld i.H.v. 5.000 Euro (nebst Zinsen) zugesprochen. Mit der Berufung begehrt der Beklagte Abweisung des Schmerzensgeldantrages, soweit dieser 2.500 Euro (nebst Zinsen) übersteigt, und bestreitet eine entstellende Wirkung der Narben. Der Senat hat die Narben selbst in Augenschein genommen und festgestellt, dass diese nach dem gegenwärtigen Erscheinungsbild äußerlich gut verheilt sowie erst bei genauem Hinsehen erkennbar sind und aufgrund ihrer geringen farblichen Abweichung von der sonstigen Gesichtshaut des Klägers keinen entstellenden Eindruck vermitteln. Im Übrigen wird auf die Feststellungen in dem angefochtenen Urteil verwiesen.
II. Die Berufung ist zulässig, da der Beklagte einen Verfahrensfehler des LG bei der Feststellung einer entstellenden Wirkung der verbliebenen Narben rügt und damit eine Rechtsverletzung nach §§ 513 Abs. 1, 546 ZPO geltend macht.
Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.
Die Inaugenscheinnahme der verbliebenen Narben des Klägers war zu wiederholen, da das LG in seinem Urteil lediglich das würdigende Ergebnis seines Augenscheines („15 cm lange gerötete Narbe vom rechten Ohr bis zur Mitte des Unterkieferknochens”, „erheblich und zudem entstellend”, „zwei Narben im Gesicht erkennbar, die die äußere Erscheinung des Klägers beeinträchtigen”) mitgeteilt, jedoch zu dem Inhalt der Augenscheineinnahme als den tatsächlichen Grundlagen seiner Würdigung keine Ausführungen gemacht hat, die dem Senat eine Überprüfung der erstinstanzlichen Rechtsanwendung ermöglicht hätten. Dies stellt einen Verstoß gegen § 160 Abs. 3 Nr. 5 ZPO dar, der auch nicht durch rügeloses Verhandeln nach § 295 ZPO geheilt werden konnte. Denn Protokollmängel stehen wegen der Bedeutung der Protokollierung für die rechtliche Überprüfbarkeit einer zutreffenden Rechtsanwendung regelmäßig nicht zur Disposition der Parteien (vgl. BGH v. 18.9.1986 – I ZR 179/84, MDR 1987, 209 = NJW 1987, 1200 [1201]; Zöller/Stöber, ZPO, 23. Aufl., § 161 Rz. 9). Zwar kann der Mangel des Protokolls durch die Wiedergabe des nicht protokollierten Inhalts der Beweisaufnahme in dem in derselben Instanz ergangenen Urteil behoben werden, wenn dieser Inhalt aus dem Urteil ohne weiteres erkennbar und von der Würdigung abgrenzbar ist (BGH v. 18.9.1986 – I ZR 179/84, MDR 1987, 209 = NJW 1987, 1200 [1201]; Zöller/Stöber, ZPO, 23. Aufl., § 161 Rz. 9). Jedoch fehlt ein solcher Inhalt hier auch in dem angefochtenen Urteil. Das LG hätte insb. den Grad der Auffälligkeit der Narben durch möglichst genaue tatsächliche Beschreibung ihrer farblichen Abweichungen von dem sonstigen Teint des Klägers einschl. seiner Pigmentierung und – ggf. – etwaiger plastischer Auffälligkeiten (z.B. Narbengewebe) deutlich machen müssen.
Bei der vom Senat wiederholten Inaugenscheinnahme der auf die Schnittverletzungen vom 25.5.2001 zurückzuführenden Narben haben lediglich ein diskretes Narbenbild ohne auffallendes Narbengewebe und nur geringfügige Farbabweichungen zwischen Narben und umgebender Gesichtshaut des Klägers festgestellt werden können. Das Erscheinungsbild des Gesichtes des Klägers war für den Senat derart, dass die von dem Beklagten verursachten Narben für den Senat erst bei genauerem Hinsehen überhaupt erkennbar waren und keine auffallende oder gar entstellende optische Wirkung ausübten.
Unter diesen Umständen ist bei umfassender Abwägung ...