Verfahrensgang
LG Wiesbaden (Entscheidung vom 26.05.1982; Aktenzeichen 5 O 489/81) |
Tenor
Auf die Berufungen der Beklagten werden das am 26. Mai 1987 verkündete und durch Beschluss vom 15. September 1982 berichtigte Teilurteil sowie das am 13. Oktober 1982 verkündete Schlussurteil des Landgerichts Wiesbaden - 5. Zivilkammer - abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 4.985,69 DM zuzüglich 4 Zinsen seit dem 22.Januar 1982 zu zahlen, der Erstbeklagte allein zusätzlich 4 Zinsen für die Zeit vom 10. Dezember 1981 bis 21. Januar 1982.
Die Beklagten sind als Gesamtschuldner verpflichtet, der Klägerin allen zukünftig noch entstehenden materiellen Schaden aufgrund des Unfalls vom 1981 zu ersetzen, soweit die Ansprüche der Klägerin nicht auf Träger der gesetzlichen Sozialversicherung übergegangen sind.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehenden Berufungen der Beklagten werden zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz werden gegeneinander aufgehoben; von den Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin 4/10, die Beklagten tragen 6/10.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Wert der Beschwer der Klägerin beträgt 4.000 DM, der Wert der Beschwer der Beklagten 5.985,69 DM.
Gründe
Die zulässigen Berufungen der Beklagten haben nur zu einem kleineren Teil Erfolg. Aus zutreffenden Erwägungen hat das Landgericht entschieden, dass der Erstbeklagte als Halter und der Zweitbeklagte als Aufsichtsführer eines Schäferhundes dem Grunde nach der Klägerin zum vollen Ersatz des durch den Biss des Hundes am 21. März 1981 entstandenen materiellen und immateriellen Schadens verpflichtet sind. Insoweit kann zur Vermeidung von Wiederholungen auf die angefochtenen Urteile Bezug genommen werden (§ 543 Abs. 1 ZPO). Auch das Vorbringen der Beklagten in der Berufung zum Grund des Anspruchs rechtfertigt eine andere Entscheidung nicht.
Dass der Zweitbeklagte nach § 834 BGB schadensersatzpflichtig ist, wird im Berufungsverfahren nicht mehr bezweifelt. Die zutreffenden Erwägungen des Landgerichts werden vom Senat geteilt.
Das gleiche gilt hinsichtlich der Verantwortlichkeit des Erstbeklagten. Entgegen seiner Auffassung handelt es sich bei dem fraglichen Hund nicht um ein Tier, das der Erwerbstätigkeit des Tierhalters im Sinne des § 833 Satz 2 BGB zu dienen bestimmt ist. Selbst wenn der Erstbeklagte einen Teil seines Lebensunterhalts aus dem Betrieb einer Landwirtschaft zieht - was schon zweifelhaft ist, weil er zur Einkommensteuer nicht veranlagt wird -, ist doch nicht jedes Tier, das er hält, gleichsam automatisch diesem Erwerbszweck zu dienen bestimmt.
Dies ist nur der Fall, wenn die Tierhaltung zur Ermöglichung oder jedenfalls Förderung der Erwerbstätigkeit erforderlich ist. Ein Hund kann demgemäß ein "Erwerbstier" sein, wenn er zur Bewachung der Betriebsstätte, dazu gehören auch landwirtschaftlich genutzte Gebäude, notwendig ist. Das ist jedoch bei einem im Ortskern gelegenen Hof grundsätzlich nicht der Fall. Um eine Ausnahme von der allgemeinen Tierhalterhaftung nach § 833 Satz 1 BGB zu rechtfertigen, ist vielmehr Voraussetzung, dass der Halter das Tier im Gegensatz zu den übrigen Hundehaltern tatsächlich zu Wachzwecken benötigt. Andernfalls müsste die Mehrzahl der Halter von Hunden grundsätzlich nach § 832 Satz 2 BGB gegenüber anderen Tierhaltern privilegiert werden, weil in der Regel Hunde - jedenfalls auch - eine gewisse Wachfunktion wahrnehmen.
Ein Mitverschulden der Klägerin hat das Landgericht zutreffend verneint. Es ist schon zweifelhaft, ob überhaupt von einem Tatbestand ausgegangen werden kann, der ein Mitverschulden begründen könnte. Denn die Behauptung der Beklagten, die Klägerin sei auf den im Bereich einer öffentlichen Straße angebundenen Hund zugegangen, um ihn zu streicheln, ist nicht erwiesen und auch mit den von den Beklagten angetretenen Beweismitteln kaum beweisbar. Denn selbst wenn zugunsten der Beklagten davon ausgegangen wird, dass die Klägerin unmittelbar nach dem Biss durch den Hund in ihre Wange gegenüber dem Sohn des Zweitbeklagten geäußert hat, sie habe den Hund streicheln wollen, besagt dies nicht, dass sie sich allein zu diesem Zweck in die Reichweite des Hundes begeben hat. Es ist durchaus möglich, dass die Klägerin, als sie auf dem Bürgersteig an dem Hund vorbeigehen musste, erwogen hatte, den Hund gegebenenfalls durch Streicheln zu beruhigen, falls er sich ihr nähern sollte. Aber selbst wenn die damals 9 Jahre alte Klägerin den Hund nicht aus Furcht sondern in albern unbefangener kindlicher Tierliebe hätte streicheln wollen, liegt darin kein ihr vorwerfbares Mitverschulden, weil sie nicht die zur Erkenntnis ihrer Verantwortlichkeit (gemäß § 254 BGB sich selbst gegenüber erforderliche Einsicht hatte (§ 828 Abs. 2 BGB), Dies ergibt sich aus der gesamten Situation:
Die Klägerin hat nämlich weder ein fremdes Grundstück betreten noch über oder durch eine Grundstücksabgrenzung gegriffen, um einen fremden Hund zu streicheln, so...