Leitsatz (amtlich)

Verletzung der Obhutspflicht gegenüber der Bewohnerin eines Altenheims beim Wechseln der Bettwäsche.

 

Normenkette

BGB §§ 278, 286 Abs. 1, §§ 823, 831

 

Verfahrensgang

LG Hagen (Urteil vom 04.03.2011; Aktenzeichen 8 O 183/10)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das am 4.3.2011 verkündete Urteil der 8. Zivilkammer des LG Hagen wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

I. Gemäß § 540 I ZPO wird auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils Bezug genommen, soweit sich aus dem Nachfolgenden nichts Anderes ergibt.

Mit der gegen dieses Urteil gerichteten Berufung rügt die Beklagte, dass sie abweichend von der Einschätzung des LG gemäß den Grundsätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung für das Schadensereignis im vorliegenden Fall nicht haftbar sei.

Die betroffene Frau I sei im Rahmen einer alltäglichen, normalen Pflegemaßnahme gestürzt, weshalb die Klägerin die Beweislast für eine Pflichtwidrigkeit der Beklagten und deren Ursächlichkeit trage. Dem Pfleger Zeugen K sei indessen aus der im Voraus zu treffenden Beurteilung kein Vorwurf zu machen. Frau I habe in der fraglichen Situation völlig ruhig in dem Sessel gesessen, so, wie sie normalerweise auch sonst stundenlang im Sessel gesessen hätte, ohne aufzustehen. Da nicht mit einem Aufstehen und Sturz zu rechnen gewesen sei und damit keine konkrete Gefahrensituation bestanden habe, habe der Pfleger kurz vor die Tür zu dem direkt davor abgestellten Wäschewagen gehen dürfen, um frische Bettwäsche zu holen; insoweit treffe auch nicht zu, dass er das Zimmer im eigentlichen Sinne verlassen habe. Selbst wenn er erst die Bettwäsche geholt, dann Frau I in den Sessel gesetzt und dann das Bett gemacht hätte, wäre der Sturz aufgrund der Kürze des Ablaufs und der räumlichen Entfernung nicht zu verhindern gewesen. Das LG habe im Übrigen unhaltbare Erwägungen zu den Auswirkungen einer Müdigkeit und Schlaftrunkenheit der Frau I angestellt, die nicht vorgetragen gewesen seien und ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht feststellbar seien.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des LG abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens.

Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Erklärungen zu Protokoll Bezug genommen.

Der Senat hat Beweis durch uneidliche Vernehmung des Zeugen K erhoben; wegen des Ergebnisses wird auf den Berichterstattervermerk zum Senatstermin verwiesen.

II. Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

Das LG hat zu Recht erkannt, dass der Klägerin aus übergegangenem Recht der Frau I (§ 116 I SGB X) gegen die Beklagte der der Höhe nach nicht mehr bestrittene Schadensersatzanspruch sowohl aufgrund vertraglicher als auch deliktischer Haftung nach § 280 I BGB in Verbindung mit dem Heimvertrag bzw. den §§ 823, 831 BGB zusteht.

Die Beklagte hatte aus dem geschlossenen Heimvertrag die Obhutspflicht zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit der ihr anvertrauten Heimbewohnerin. Damit korrespondierte die allgemeine Verkehrssicherungspflicht zum Schutz der Bewohnerin vor Schäden. Es ist davon auszugehen, dass die Beklagte diese Pflichten mit der Folge des Schadens der Frau I schuldhaft verletzt hat.

Das LG ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Pflichten des Heimträgers auf die in Pflegeheimen üblichen Maßnahmen, die mit einem vernünftigen finanziellen und personellen Aufwand realisierbar sind, begrenzt sind. Maßstab ist das Erforderliche und das für die Heimbewohner und das Pflegepersonal Zumutbare; dabei sind auch die Würde sowie die Interessen und Bedürfnisse des Heimbewohners zu beachten und ihre Selbstbestimmung, Selbstverantwortung und Selbständigkeit zu fördern und zu fordern. Daraus folgt rechtlich die Unterscheidung zwischen zwei Bereichen: Der normale, alltägliche Gefahrenbereich im Heim fällt grundsätzlich in die Risikosphäre des Bewohners mit der Folge, dass er, wenn es in einer solchen Situation zum Schaden kommt, für die Pflichtverletzung und deren Kausalität darlegungs- und beweisbelastet ist; in einer konkreten Gefahrensituation des Heimbewohners hingegen, die gesteigerte Obhutspflichten auslöste und deren Beherrschung gerade einer speziell dafür eingesetzten Pflegekraft anvertraut war; greift eine Beweislastumkehr ein, so dass sich der Heimträger (Beklagte) entlasten muss (BGH NJW 2005, 1937; ferner OLG Hamm OLGReport Hamm 2006, 569).

Das LG hat die vorliegend zu beurteilende Situation dem letzteren Bereich zugeordnet und daraus gefolgert, dass die Beklagte beweisen muss, ihre gesteigerte, erfolgsbezogene Obhutspflicht nicht schadensursächlich verletzt zu haben. Auf die diesbezüglichen Ausführungen kann zustimmend Bezug genommen werden, weil sie volle Bestätigung durch die Aussage des Zeugen K (Pfleger) gefunden haben, aufgrund...

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