Leitsatz (amtlich)
In den Grenzfällen der Medizin, in denen es keine ausreichende Erfahrungswerte gibt, haben die Ärzte einen großen Ermessenspielraum. Ein solcher Ermessenspielraum besteht für die Ärzte, wenn bei einem Kleinkind, dass auf der Herztransplantationsliste steht, zur Überbrückung ein sog. Berlin Heart einzusetzen ist.
Normenkette
BGB §§ 280, 611, 823
Verfahrensgang
LG Bielefeld (Urteil vom 17.11.2015; Aktenzeichen 4 O 211/12) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das am 17.11.2015 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des LG Bielefeld wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufungsinstanz werden dem Kläger auferlegt.
Das angefochtene Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der am ... 2008 geborene Kläger macht Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen behaupteter ärztlicher Behandlungsfehler in der Klinik der Beklagten während des stationären Aufenthalts vom 02.03. bis 21.12.2009 geltend.
Bereits kurz nach der Geburt des Klägers wurde bei ihm ein schwerer Herzfehler entdeckt, der zu mehreren stationären und auch ambulanten Behandlungen bei der Beklagten führten, die zu dem Ergebnis einer deutlichen Funktionseinschränkung bei nur schwachen Zusammenziehen des Herzens erbrachten.
Als der Kläger am 02.03.2009 bei der Beklagten stationär aufgenommen wurde, waren seine Werte sehr schlecht. Die Herzscheidewand kontrahierte kaum. Ihm wurden zur Stabilisierung Katecholamine verabreicht, die den Zustand nicht besserten, so dass er am 04.03.2009 wegen metabolischer Azidose auf die Intensivstation verlegt wurde. Dort wurde er am 05.03.2009 intubiert und kam auf die Herztransplantationsliste. Die weiteren Untersuchungen ergaben schließlich im Trachealsekret einen Nachweis von Darmbakterien sowie ein vergrößertes Herz fast ohne Pumpfunktion. In den Folgetagen schwankte der Zustand des Klägers. Als es ihm am 13.03.2009 jedoch erheblich schlechter ging, wurde die Entscheidung zur Implantation eines sog. Berlin Hearts getroffen.
Am Abend des 13.03.2009 noch vor der Operation musste der Kläger schließlich reanimiert werden. In einer 5,5 stündigen Operation wurde ihm das Unterstützungssystem eingesetzt. Er kam danach auf die Intensivstation. Im Rahmen von bildgebenden Untersuchungen ergab sich schließlich der Verdacht auf einen Hirninfarkt. In den folgenden Wochen zeigten sich sodann auch erhebliche neurologische Auffälligkeiten.
Die erfolgreiche Herztransplantation erfolgte am 4.11.2009.
Seit seiner Entlassung besteht beim Kläger eine schwere Entwicklungsstörung - und verzögerung mit den Voraussetzungen der Pflegestufe II. So liegt eine Teillähmung der Arme und Beine vor, eine Minderung der geistigen Entwicklung und massive Störung im sprachlich kommunikativen Bereich. Er wird auch ausschließlich über eine PEG-Sonde ernährt und erhält Wasser nur per Löffel.
Der Kläger hat der Beklagten Behandlungsfehler vorgeworfen. So habe man Hygienefehler gemacht, so dass sich im Trachealsekret ein Darmbakterium habe feststellen lassen. Dadurch sei es zu einer Meningitis gekommen, was aber nicht erkannt und behandelt worden sei. Darüber hinaus sei die Einsetzung des Berlin Hearts zu spät erfolgt. Der Kläger sei bei seiner Einlieferung in einem lebensbedrohlichen Zustand gewesen, so dass dieser dringend ein Spenderherz benötigt habe und man das Unterstützungssystem sofort habe einsetzen müssen. Die ischämischen Schlaganfälle mit den eingetretenen neurologischen Schädigungen seien auf die erhebliche Zeitverzögerung zurückzuführen. Die Ärzte seien sich nicht einig gewesen, so dass es zu der Verspätung gekommen sei. Vor diesem Hintergrund hat der Kläger ein Schmerzensgeld von 500.000 EUR sowie eine monatliche Rente von 500 EUR und die Feststellung der künftigen Ersatzpflicht begehrt.
Das LG hat sachverständig beraten durch Prof. Dr. C die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass kein Behandlungsfehler vorliege. Es habe keine Krankenhausinfektion vorgelegen; denn bei dem Nachweis der Darmbakterien im Trachealsekret habe es sich aufgrund der geringen Keimzahl und der fehlenden klinischen und laborchemischen Infektionsverdachtsmomente nur um eine passagere Besiedlung gehandelt. Diese Besiedlung könne nicht ohne weiteres auf Hygienemängel zurückgeführt werden, die sich hier auch nicht feststellen ließen, weil sie auch durch die Eltern oder das Kind selber eingebracht worden sein könnten. Im Übrigen habe auch kein Hinweis für einen Verdacht auf das Vorliegen einer Meningitis bestanden. Der Nachweis der vereinzelten Darmbakterien könne nicht zu einer Meningitis führen, weil es keinen neurochirurgischen Eingriff gegeben habe. Das wäre dann eine Rarität gewesen.
Die Herzinsuffizienz sei korrekt behandelt worden. Man habe nicht sofort zur Implantation des Berlin Heart greifen müssen, sondern habe wie geschehen handeln ...