Leitsatz (amtlich)
Die Nichtvornahme einer routinemäßigen Antibiotika-Prophylaxe vor einer neurochirurgischen Angiom-Extirpation ist nicht behandlungsfehlerhaft. Im Rahmen der Eingriffsaufklärung ist der Patient zuvor zwar über das Risiko einer Meningitis aufzuklären, nicht aber über das Für und Wider einer routinemäßigen Antibiotika-Prophylaxe.
Verfahrensgang
LG Essen (Urteil vom 03.06.2003; Aktenzeichen 12 O 211/01) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das am 3.6.2003 verkündete Urteil der 12. Zivilkammer des LG Essen wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Dem Kläger wird gestattet, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagten zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der am 24.10.1962 geborene Kläger erlitt am 26.11.1996 einen Grand-Mal-Anfall. In der Neurochirurgischen Abteilung des Ev. Krankenhauses Lippstadt wurde daraufhin ein Angiom, eine angeborene Gefäßmissbildung, in der linken Gehirnhälfte festgestellt.
Ärzte der Klinik für Neurochirurgie der Beklagten zu 1) stellten 1998 die Indikation zur Embolisation mit nachfolgender operativer Entfernung des Angioms oder Bestrahlungsbehandlung. Der Beklagte zu 2) ist Oberarzt der Klinik für Neurochirurgie, der Beklagte zu 3) deren Chefarzt. Der Kläger unterzog sich im April 1998 mehreren Embolisationssitzungen. Dadurch verminderte sich die Ausdehnung des Angioms.
Am 5.5.1998 unterzeichnete der Kläger die Einwilligungserklärung (Bl. 81 d.A.) in die operative Angiomextirpation durch den Beklagten zu 2). Am 6.5.1998 nahm der Beklagte zu 2) diese vor. Antibiotika erhielt der Kläger prä- und perioperativ nicht. Postoperativ trat eine Meningitis auf. Daraufhin setzte am 13.5.1998 eine antibiotische Behandlung ein.
Die Leitlinie der Föderation operativ-medizinisch-wissenschaftlicher Fachgesellschaften (FomwF) zur perioperativen Antibiotika-Prophylaxe besagt:
„Eine perioperative Antibiotika-Prophylaxe ist indiziert, wenn
1.1. das Risiko einer postoperativen Infektion hoch ist…. Bei aseptischen Wunden bzw. Eingriffen erübrigt sich eine Antibiotika-Prophylaxe.
1.2. das Risiko eines Infektes zwar gering ist, bei dennoch auftretendem Infekt aber eine erhebliche Morbidität und Letalität droht…”
Wegen der weiteren Einzelheiten der Leitlinie wird auf Bl. 31 d.A. verwiesen. Die Leitlinie ist veröffentlicht in den quartalsweise erscheinenden „Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Neurochirurgie” Heft 2/1998. Unter den Parteien ist streitig, ob das Heft 2/1998 im Mai 1998 bereits erschienen war.
Die Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler bei der Ärztekammer Nordrhein kam in ihrem Bescheid vom 18.2.2000 (Bl. 32 ff. d.A.) zu dem Ergebnisse, dass keine Behandlungsfehler und Aufklärungsversäumnisse vorliegen.
Der Kläger hat Behandlungsfehler und Aufklärungsversäumnisse beanstandet. Er hat Schmerzensgeld (Vorstellung: 300.000 DM) und Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten für eine postoperativ aufgetretene Meningitis verlangt. Das LG hat die Klage nach Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachten vom 2.7.2002 (Bl. 123 ff. d.A.) nebst Ergänzungsgutachten vom 11.12.2002 (Bl. 186 ff. d.A.) abgewiesen. Auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil wird Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
Mit der Berufung macht der Kläger im Wesentlichen geltend, die Ärzte der Beklagten zu 1) hätten ihn darüber aufklären müssen, dass eine Antibiotika-Prophylaxe möglich gewesen sei. Eine Antibiose-Behandlung sei ggü. einer Operation ohne Antibiose eine aufklärungsbedürftige Behandlungsalternative.
Der Kläger beantragt,
1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
2. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihm sämtliche materiellen Schäden zu ersetzen, die Folge der Operation vom 6.5.1998 sind, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen,
3. die Revision zuzulassen.
Die Beklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen.
Sie tragen in erster Linie vor, es sei keine Frage der aufklärungspflichtigen Behandlungsalternative, ob eine Antibiotika-Prophylaxe vorzunehmen sei oder nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die beigezogenen Krankenunterlagen, das Sitzungsprotokoll und den Vermerk des Berichterstatters zum Senatstermin vom 26.1.2004 über die ergänzende Anhörung des Sachverständigen OA Dr. U. Bezug genommen.
II. Die Berufung bleibt ohne Erfolg.
Der Kläger hat gegen die Beklagten keine Ansprüche auf Schmerzensgeld sowie Feststellung der Ersatzpflicht für etwaige materielle und weitere immaterielle Schäden gem. § 847 BGB (a.F.) ...