Leitsatz (amtlich)

1. Die Bemessung von Schmerzensgeldansprüchen ist und bleibt grundsätzlich Aufgabe des Tatrichters, der hier durch § 287 ZPO besonders frei gestellt ist.

2. Zögerliches und kleinliches Regulierungsverhalten kann sich nach der im Einklang mit der obergerichtlichen Rechtsprechung befindlichen Senatsrechtsprechung grundsätzlich schmerzensgelderhöhend auswirken.

3. Zur Vermeidung von extremen und nicht mehr hinnehmbaren Systemausreißern nach oben oder unten hält der Senat den bisherigen Weg, das Schwergewicht auf die maßgeblichen Gesichtspunkte des Einzelfalles zu legen und erst in einem zweiten Schritt zur Orientierung vorhandene vergleichbare Gerichtsentscheidungen in den Blick zu nehmen, für weiterhin vorzugswürdig.

4. Der Methode des taggenauen Schmerzensgeldes bedarf es auch nicht im Sinne einer anzustellenden Kontrollüberlegung, ob das unter Berücksichtigung der allseits bekannten Bemessungskriterien für angemessen angesehene Schmerzensgeld sich rechnerisch anhand vorgegebener Parameter bestätigen lässt.

 

Normenkette

BGB §§ 253, 833

 

Verfahrensgang

LG Münster (Aktenzeichen 016 O 451/16)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Einzelrichters der 16. Zivilkammer des Landgerichts Münster vom 08.11.2019 teilweise abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein weiteres Schmerzensgeld in Höhe von 5.000,- Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 30.000,- Euro seit dem 13.01.2017 sowie weitere vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 116,03 Euro zu zahlen.

Die weitergehende Berufung der Klägerin sowie die Berufung der Beklagten werden zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufungsinstanz tragen die Klägerin zu 22 % und die Beklagte zu 78 %.

Die Kosten der ersten Instanz trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

I. Die im Jahr 1990 geborene Klägerin nimmt die Beklagte gem. § 833 BGB aus Tierhalterhaftung in Anspruch. Beide fuhren am 31.08.2013 nacheinander in einer Kutsche, die von einem Pony der Beklagten gezogen wurde. Nachdem die Klägerin von der Beklagten die Führung übernommen hatte, ging das Pony - wohl infolge eines Insektenstichs - durch. Beiden Parteien gelang es nicht, das Gespann insbesondere mittels der Zügel zu stoppen. Die Klägerin sprang daher von der Kutsche ab. Beim Aufkommen zog sie sich eine erheblich dislozierte, erstgradig offene bimalleoläre Sprunggelenksluxationsfraktur mit tibiofibularer Instabilität rechts zu. Die Haftung der Beklagten ist, nachdem in erster Instanz auch der Haftungsgrund im Streit war, inzwischen außer Streit. In der Berufung streiten die Parteien mit ihren wechselseitig eingelegten Berufungen lediglich noch um die Höhe des der Klägerin zustehenden angemessenen Schmerzensgeldes. Die Beklagte akzeptiert ein Schmerzensgeld von 12.500,- EUR, während die Klägerin über die vom Landgericht ausgeurteilten 25.000,- EUR hinaus, weitere, nicht zugesprochene 5.000,- EUR und klageerweiternd noch einmal 5.000,- EUR nebst Zinsen auf den Gesamtbetrag begehrt. Letzteren Betrag begründet sie mit dem ihrer Meinung nach zögerlichen Regulierungsverhalten des hinter der Beklagten stehenden Haftpflichtversicherers.

Der Senat hat die Klägerin gem. § 141 ZPO angehört. Die Sachverständige Prof. Dr. P hat ihr bereits in erster Instanz vorgelegtes schriftliches Gutachten vom 08.12.2018 erläutert und ergänzt. Wegen des wesentlichen Inhalts von Anhörung und Beweisaufnahme wird auf den hierüber aufgenommenen Berichterstattervermerk verwiesen.

II. Die Berufung der Klägerin hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Die Berufung der Beklagten ist hingegen unbegründet.

A. Berufung der Klägerin

1. Der Klägerin steht ein sich aus §§ 833, 253 BGB ergebender Anspruch auf Zahlung eines über die vom Landgericht bereits zugesprochenen 25.000,- EUR hinausgehenden Schmerzensgeldes von 5.000,- EUR zu.

2. Das Schmerzensgeld dient gem. § 253 BGB dem Ausgleich erlittener Schäden nicht vermögensrechtlicher Art. Die Entschädigung ist nach § 287 ZPO zu schätzen, wobei der Rechtsbegriff der billigen Entschädigung ausreichend eine angemessene Differenzierung in Bezug auf die stets maßgebenden Umstände des konkreten Einzelfalles zulässt. Der Tatrichter muss seine Ermessensentscheidung nach den §§ 253 Abs. 2 BGB, 287 ZPO begründen.

2.1 Die Höhe des zuzubilligenden Schmerzensgeldes hängt nach gefestigter Rechtsprechung entscheidend von dem Maß der durch das haftungsbegründende Ereignis verursachten körperlichen und seelischen Lebensbeeinträchtigung des Geschädigten ab, soweit diese bei Schluss der mündlichen Verhandlung bereits eingetreten oder als künftige Schadensfolge erkennbar und objektiv vorhersehbar ist. Die Schwere dieser Belastungen wird vor allem durch die Stärke, Heftigkeit und Dauer der erlittenen Schmerzen und Leiden sowie der verursachten Funktionsbeeinträchtigungen und verbleibender Entstellungen bestimmt. Im Sinne einer Objektivierung der Leiden wirken sich insbesondere die Art der Verletzu...

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