Normenkette

ZPO § 139

 

Verfahrensgang

LG Münster (Aktenzeichen 15 O 176/01)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das am 28.6.2001 verkündete Urteil der 15. Zivilkammer des LG Münster aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Berufungsinstanz, an das LG zurückverwiesen.

 

Gründe

I. Der Kläger – von Beruf Arzt – nimmt die Beklagte aus einer Vollkaskoversicherung auf Zahlung einer Entschädigung für sein versichertes Fahrzeug Mitsubishi Pajero aus Anlass eines Verkehrsunfalls vom 3.11.1999 in Anspruch.

An diesem Tag gegen 23.25 Uhr fuhr er mit seinem Wagen ca. 100 m nach einer Rechtskurve auf einen dort unbeleuchtet abgestellten Lkw auf (vgl. Lichtbilder – Bl. 26 ff. EA 507 Js 8457/99 StA Bückeburg). Eine dem Kläger um 2.25 Uhr im Klinikum M. entnommene Blutprobe ergab eine BAK von 1,25 ‰. Durch rechtskräftiges Urteil des AG Rinteln vom 20.9.2000 ist der Kläger wegen fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung durch fahrlässige Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe verurteilt worden.

Der Kläger bestreitet, dass die Blutentnahme ordnungsgemäß erfolgt sei. Dazu behauptet er: Der die Blutprobe entnehmende Arzt S. sei mit dem Polizeibesteck nicht zurechtgekommen. Sein erster Blutentnahmeversuch, bei dem er den zum Polizeiset gehörenden alkoholfreien Oxicyanidtupfer benutzt habe, sei fehlgeschlagen. Deshalb sei es zu einem zweiten Einstich gekommen, bei dem der Arzt den klinikeigenen Desinfektionsspray verwendet habe, der Alkohol enthalte und der – wenn sich Alkohol in der Armbeuge ansammle – mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Verfälschung des Blutalkoholwertes der entnommenen Blutprobe führe. Beim zweiten Blutentnahmeversuch habe nachgerade eine „Pfütze” in seiner Armbeuge gestanden, die durch das alkoholhaltige Desinfektionsmittel verursacht worden sei. Der Unfall habe mit einer alkoholbedingten Beeinflussung nichts zu tun und sei allein dadurch zu erklären, dass er, der Kläger, hinter einem Lkw hergefahren sei, der seinerseits kurz vor dem geparkten Lkw nach links herübergeschwenkt sei. Dadurch sei er überrascht worden und deshalb auf den geparkten Lkw aufgefahren.

Die Beklagte verweigert Versicherungsschutz. Sie beruft sich auf Leistungsfreiheit nach § 61 VVG wegen grob fahrlässiger alkoholbedingter Herbeiführung des Versicherungsfalls.

Durch das angefochtene Urteil hat das LG sich der Auffassung der Beklagten angeschlossen und die Klage ohne Durchführung einer Beweisaufnahme abgewiesen.

II. Die hiergegen gerichtete zulässige Berufung des Klägers hatte insoweit Erfolg, als das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LG zurückverwiesen worden ist (§ 539 ZPO). Das Verfahren des ersten Rechtszuges leidet an einem wesentlichen Mangel, weil das LG die Durchführung einer sachlich gebotenen Beweisaufnahme unterlassen hat.

Der Kläger hatte sich gegen den zur Begründung von Leistungsfreiheit vorgebrachten Vorwurf der Beklagten, den Verkehrsunfall alkoholbedingt grob fahrlässig herbeigeführt zu haben (§ 61 VVG), dadurch zur Wehrgesetzt, indem er geltend machte, das Ergebnis der Blutprobe (1,25 ‰) dürfe nicht zu seinem Nachteil verwertet werden, weil die Blutprobe durch alkoholhaltiges Desinfektionsmittel verfälscht worden sei. Dieser schlüssige Klagevortrag war unter Beweis gestellt durch das Zeugnis des Arztes S. und des Polizeibeamten M.; ergänzend war die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt worden (Bl. 39 f. d.A.). Deshalb war das LG gehindert, unter Übergehung dieser Beweisanträge die im Rahmen des gegen den Kläger geführten staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens erfolgte und unter dem 9.2.2000 protokollierte polizeiliche Zeugenaussage Sch. (Bl. 75 EA) im Wege des Urkundsbeweises gegen den Kläger zu verwenden. Dieser prozessualen Vorgehensweise stand der Antrag des Klägers auf Vernehmung dieses Zeugen zum Zwecke des unmittelbaren Beweises im laufenden Deckungsprozess entgegen (st. Rspr. des BGH, zuletzt VersR 2000, 610 [611] m.w.N.).

Zwar ist in der landgerichtlichen Sitzungsniederschrift vom 28.6.2001 vermerkt, die Anwälte hätten sich mit einer beweismäßigen Verwertung der Strafakten einverstanden erklärt. Diese Einverständniserklärung des Prozessbevollmächtigten des Klägers durfte vor dem oben genannten Hintergrund vom LG aber nicht ohne weiteres dahin verstanden werden, dass der Anwalt damit seinen Beweisantritt auf Vernehmung des Zeugen S. fallen lassen wollte. Hätte der Vorsitzende durch die an die Anwälte gerichtete Frage nach beweismäßiger Verwertbarkeit der Strafakten (auch) die beantragte Zeugenaussage S. entbehrlich machen wollen, hätte dies zumindest einer klärenden Rückfrage beim Prozessbevollmächtigten des Klägers bedurft (§ 139 ZPO). Dann wäre sofort klargestellt worden, was nach Lage der Dinge ohnehin eindeutig war, dass das erklärte Einverständnis keineswegs einen Verzicht auf die Vernehmung des die Blutprobe entnehmenden Arztes S. umfassen sollte. Es lag auf der Hand, da...

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