Leitsatz (amtlich)
1. Der Inhaber eines Einzelhandelsunternehmens ist verkehrssicherungspflichtig für in seinem Ladenlokal aufgestellte und den Kunden zugängliche Ständer zur Präsentation von Waren, selbst wenn die Ständer von dem jeweiligen Warenlieferanten zur Verfügung gestellt und bestückt werden.
2. Die Aufstellung eines beweglichen Metallständers, an dem an waagerechten Zinken Gürtel zum Verkauf präsentiert werden, kann in dem Ladenlokal eines Textileinzelhandelsunternehmens verkehrssicherungswidrig und damit haftungsbegründend sein, wenn der Ständer durch Ziehen an einem Gürtel mit geringem Kraftaufwand umstürzen kann. Verursacht ein 4-jähriges Kind, das sich in Begleitung der Eltern in dem Ladenlokal aufhält, durch das spielerische Ziehen an einem Gürtel das Umkippen des Ständers, wobei es sich erhebliche Verletzungen zuzieht, kommt eine Haftung des Verkehrssicherungspflichtigen ungeachtet der grds. bestehenden Aufsichtspflicht der Eltern in Betracht.
3. Zum Mitverschuldenseinwand wegen Verletzung der Aufsichtspflicht der Eltern des geschädigten Kindes.
Normenkette
BGB § 823 Abs. 1, § 254
Verfahrensgang
LG Münster (Urteil vom 21.10.2013; Aktenzeichen 015 O 169/12) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das am 21.10.2013 verkündete Urteil der 15. Zivilkammer des LG Münster wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Gründe
A. Von der Darstellung des Tatbestands wird gem. den §§ 540 II, 313a I 1 ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO abgesehen.
B. Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg.
Das LG hat zu Recht angenommen, dass die Beklagte der Klägerin gem. den §§ 823 I, 249 I, 253 II BGB für die ihr infolge des Unfalls vom 9.6.2012 entstandenen und zukünftig noch entstehenden Schäden allein haftet und die ihr daraus bislang entstandenen Nachteile (Schadensersatz und Schmerzensgeld) zu vergüten, bzw. sie von den vorgerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten freizustellen hat.
1) Die Beklagte hat dadurch, dass sie den streitgegenständlichen mit Gürteln behangenen Gürtelständer der Fa. M in den öffentlichen Verkaufsräumen ihres Bekleidungsgeschäfts aufgestellt und nicht durch geeignete Maßnahmen gegen ein Umfallen gesichert hat, gegen die ihr obliegende Verkehrssicherungspflicht verstoßen. Zur Begründung wird - zur Vermeidung von Wiederholungen - auf die zutreffenden Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung verwiesen. Die mit der Berufung vorgebrachten Tatsachen und Argumente führen zu keinem anderen Ergebnis.
Nach ständiger Rechtsprechung des BGH, der sich der Senat anschließt, ist derjenige, der eine Gefahrenlage - gleich welcher Art - schafft, grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern. Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfasst diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren (vgl. BGHNJW 2007, 1683, 1684).
a) Zwar weist die Beklagte zu Recht darauf hin, dass nicht jeder abstrakten Gefahr vorbeugend begegnet werden kann. Eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließt, ist im praktischen Leben nicht erreichbar. Haftungsbegründend wird eine Gefahr daher erst dann, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die naheliegende Möglichkeit ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden. Deshalb muss nicht für alle denkbaren Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge getroffen werden. Es sind vielmehr nur die Vorkehrungen zu treffen, die geeignet sind, die Schädigung anderer tunlichst abzuwenden. Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt (§ 276 II BGB) ist genügt, wenn im Ergebnis derjenige Sicherheitsgrad erreicht ist, den die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich hält. Daher reicht es anerkanntermaßen aus, diejenigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der betroffenen Verkehrskreise für ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schäden zu bewahren, und die ihm den Umständen nach zuzumuten sind (vgl. BGH NJW 2007, a.a.O.; NJW 2008, 3778, 3776). Kommt es nur unter besonders eigenartigen und entfernt liegenden Umständen zu einem Schaden, muss der Geschädigte den Schaden selbst tragen (BGH NJW 2007, a.a.O.).
Der mit Gürteln behangene Gürtelständer, bestehend aus einer ca. 1,60 Meter hohen, auf einer Bodenplatte mit vier Rollen montierten, senkrechten Metallwand, auf deren Vorderseite oben acht waagerechte Zinken zum Aufhängen von Gürteln angebracht waren, stellte jedoch eine so erhebliche - nicht entfernt liegende - Gefahr insbesondere für kleinere Kinder dar, dass von dem Kreis der Kunden, die gemeinsam mit ihren Kindern das Bekleidungshaus der Beklagten betreten haben, typischerweise erwartet werden konnte, das...