Leitsatz (amtlich)
1. Zur Haftung von Aufsichtsratsmitgliedern einer Aktiengesellschaft wegen unterlasse-ner Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen Mitglieder des Vorstan-des.
2. Der Schaden der Aktiengesellschaft, für den die Aufsichtsräte haften und der u.a. in der Belastung mit langfristigen Mietzinsverbindlichkeiten liegt, entfällt nicht unter dem Gesichtspunkt des Vorteilsausgleichs, wenn sich nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft die Mietzinsgläubiger durch Vergleich mit dem Insolvenzverwalter verpflichten, ihre zur Tabelle angemeldeten und bestrit-tenen Forderungen zum Teil nicht gerichtlich zu verfolgen.
Normenkette
AktG § 93 Abs. 1-2, 6, § 116 S. 1; BGB §§ 138, 249, 251, 276, 280, 305b, 307, 311 Abs. 3, § 311b Abs. 1; InsO § 134 Abs. 1, § 143; ZPO §§ 156, 287
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Berufungen des Klägers, der Beklagten zu 1) und 3) bis 5) sowie der Streithelferin zu 1) wird das am 25.04.2012 verkündete Teil-Grund- und Teil-Schluss-Urteil des Landgerichts Essen unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels des Klägers teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagten zu 6) und zu 7) werden verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger 53.625.150,18 EUR nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 28.07.2010 zu zahlen.
Die Beklagten zu 8) bis 11) werden verurteilt, als Gesamtschuldner neben den Beklagten zu 6) und zu 7) an den Kläger einen Teilbetrag hieraus i.H.v. 100.000,00 EUR nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 28.07.2010 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen werden wie folgt verteilt:
Der Kläger trägt jeweils 91 % der Gerichtskosten, seiner außergerichtlichen Kosten und der durch die jeweilige Nebenintervention verursachten Kosten der Streithelferinnen zu 1) bis 6) sowie die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1) bis 5) in voller Höhe.
Die Beklagten zu 6) und zu 7) tragen als Gesamtschuldner jeweils 9 % der Gerichtskosten und der außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Von den außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 6) und zu 7) tragen diese selbst jeweils 31 % und der Kläger jeweils 69 %.
Die Beklagten zu 8) bis 11) tragen ihre eigenen außergerichtlichen Kosten jeweils selbst.
Die Streithelferinnen zu 1) bis 6) tragen ihre durch die jeweilige Nebenintervention verursachten eigenen Kosten jeweils zu 9 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Parteien und Streithelferinnen dürfen die jeweils gegen sie gerichtete Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung i. H. v. 110 % des aufgrund des Urteils gegen sie vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit i. H. v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
I. Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der M AG (bis Juni 2007 firmierend als RY AG, im Folgenden: Insolvenzschuldnerin). Das Insolvenzverfahren wurde durch Beschluss des Amtsgerichts Essen vom 01.09.2009 (Az. 162 IN 161/09, Anlage K 2) eröffnet; zunächst wurde der frühere Kläger Rechtsanwalt A zum Insolvenzverwalter bestellt. Durch Beschluss des Amtsgerichts vom 30.11.2011 ist gemäß Bescheinigung vom selben Tage (Anlage K 274) der jetzige Kläger während des erstinstanzlichen Verfahrens zum Insolvenzverwalter bestellt worden.
Die Beklagten waren zu unterschiedlichen Zeiten Mitglieder von Organen der Insolvenzschuldnerin: Der frühere Beklagte zu 1) war seit Mai 2004 Aufsichtsratsmitglied und seit dem 01.07.2004 Vorsitzender des Aufsichtsrates, bevor er am 12.05.2005 Vorstandsvorsitzender wurde. Im Februar 2009 schied er aus dem Vorstand aus. Der Beklagte zu 2) war Vorstandsmitglied von Mai 2001 bis April 2005 und anschließend für einen kurzen Zeitraum bis zum 12.05.2005 Vorstandsvorsitzender. Die Beklagten zu 3) bis 5) waren ebenfalls Vorstandsmitglieder, und zwar der Beklagte zu 3) von Oktober 2000 bis Dezember 2008, der Beklagte zu 4) von Oktober 2004 bis Januar 2007 und der Beklagte zu 5) von September 2004 bis September 2008. Der Beklagte zu 6) war Aufsichtsratsmitglied seit dem Jahre 2003 und Aufsichtsratsvorsitzender von Mai 2005 bis Oktober 2008. Die Beklagten zu 7) bis 11) waren in dem hier relevanten Zeitraum ebenfalls Mitglieder des Aufsichtsrates.
Eine der Konzerngesellschaften und 100 %-ige Tochter der Insolvenzschuldnerin war die R Vermietungsgesellschaft mbH. Zwischen ihr und der Insolvenzschuldnerin bestand ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag. Die R Vermietungsgesellschaft mbH mietete die einzelnen Warenhausobjekte an und vermietete sie ihrerseits an die R Warenhaus GmbH zwecks Betriebs eines Warenhauses. Alleingesellschafterin der R Warenhaus GmbH war die R GmbH, die wiederum eine 100%-ige Tochtergesellschaft der Insolvenzschuldnerin war. Auch über die Vermögen der R Warenhaus GmbH und der R Vermietungsgesellschaft mbH wurde ...