Leitsatz (amtlich)

Es ist als grober zahnärztlicher Behandlungsfehler zu werten, wenn eine Versorgung mit Langzeitprovisorien begonnen wird, ohne die Position der eingeleiteten Schienentherapie hinreichend zu sichern.

Ein solches Vorgehen ist nicht verständlich, weil es gegen bewährte zahnmedizinische Erkenntnisse verstößt. Wegen des groben Behandlungsfehlers ist eine Weiterbehandlung für den Patienten unzumutbar.

 

Normenkette

BGB §§ 611, 280, 249, 253

 

Verfahrensgang

LG Bielefeld (Urteil vom 04.12.2012; Aktenzeichen 4 O 10/08)

 

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das am 4.12.2012 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des LG Bielefeld wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass statt 7.651,08 EUR ein Betrag von 7.567,33 EUR nebst titulierter Zinsen (aus 6.000 EUR und aus 1.567,33 EUR) zu zahlen ist.

Die Kosten der Berufungsinstanz werden dem Beklagten auferlegt.

Das angefochtene Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die am 2.7.1966 geborene Klägerin hat von dem Beklagten wegen vermeintlicher - im Jahr 2003 - stattgefundener zahnärztlicher Behandlungsfehler in der Hauptsache die Zahlung eines mit mindestens 5.000 EUR für angemessen gehaltenen Schmerzensgeldes, den Ersatz materiellen Schadens i.H.v. insgesamt 6.124,45 EUR sowie die Feststellung weiter gehender Ersatzpflicht für materielle Schäden begehrt.

Der Beklagte hat sein zahnärztliches Vorgehen für fehlerfrei gehalten und sich auf Verjährung berufen.

Das LG hat der Klage nach Beweisaufnahme teilweise - Zahlung eines Schmerzensgeldes i.H.v. 5.000 EUR, Ersatz materieller Schäden i.H.v. 1.651,08 EUR und Feststellung weiter gehender Ersatzpflicht - stattgegeben. Es hat sich im Wesentlichen darauf gestützt, dass dem Beklagten als Behandlungsfehler anzulasten sei, dass er verfrüht von der Protrusionsschienentherapie auf die Eingliederung von provisorischem Zahnersatz übergegangen sei. Überdies seien die eingebrachten provisorischen Kronen und Brücken wegen extremer Nonokklusion fehlerhaft gewesen.

Dagegen richtet sich die Berufung des Beklagten, der das erstinstanzliche Begehren auf Klageabweisung weiter verfolgt. Die sachverständigen Auffassungen zu einer unzureichenden Adaptionsphase seien falsch. Die Behandlung sei lege artis erfolgte, ihm sei im Übrigen nicht die Gelegenheit zur Nacharbeit der Interimsversorgung gegeben worden.

Der Beklagte hält weiterhin an der Einrede der Verjährung fest.

Die Klägerin verteidigt die angefochtene Entscheidung. Die Behandlung sei fehlerhaft gewesen. Nachbesserungsversuche nicht mehr zumutbar gewesen.

Der Senat hat die Parteien persönlich angehört und Beweis erhoben durch Einholung eines mündlichen Gutachtens des Sachverständigen Dr. R sowie durch Einholung eines weiteren schriftlichen Gutachtens der Sachverständigen Dr. Q, das diese zudem mündlich erläutert hat. Wegen des Ergebnisses wird auf die Berichterstattervermerke zu den Senatsterminen vom 24.9.2013 und 6.6.2014 verwiesen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes, insbesondere des genauen Wortlautes der gestellten Anträge, wird auf die angefochtene Entscheidung und die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II. Die Berufung ist im Wesentlichen unbegründet.

Zu Recht hat das LG der Klage weitgehend stattgegeben.

1. Wegen des Vorliegens von Behandlungsfehlern gemäß den §§ 611, 280, 249 ff., 253 Abs. 2 BGB steht der Klägerin ein Anspruch auf Schmerzensgeld i.H.v. 5.000 EUR zu.

a. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats aufgrund der Feststellungen bei der Sachverständiger fest, dass dem Beklagten als grober Behandlungsfehler anzulasten ist, dass er die provisorische prothetische Versorgung in Angriff genommen hat, obwohl die Position des Unterkiefers durch die Schienentherapie noch nicht hinreichend gesichert war. Insbesondere nach den Ausführungen der Sachverständigen Dr. Q erscheint überzeugend, dass die Verschiebung der Kieferposition auch aufgrund der muskulären Beteiligung ein dynamischer Prozess ist, bei dem auch entsprechend den Leitlinien eine gesicherte und so verbleibende Endposition erst erreicht ist, wenn der Patient ein halbes Jahr beschwerdefrei mit dieser durch die Schienentherapie erreichten Position gelebt hat. Das war vorliegend eindeutig nicht der Fall. Ausweislich des Befundes der Frau Dr. L hat die Klägerin noch am 3.9.2003 über Beschwerden geklagt, die diese Ärztin als Kieferklemme diagnostiziert hat. Gleichwohl hat der Beklagte bereits zu Beginn des Monats Oktober mit der Versorgung mit Langzeitprovisorien begonnen. Eine gesicherte Kieferposition und über eine hinreichende lange Zeit gegebene Beschwerdefreiheit haben damit eindeutig nicht vorgelegen.

Der Beklagte kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass eine Schienentherapie wegen fehlender Zahnmulden nicht möglich gewesen sei und die vorrangigen sonstigen Beschwerden der Klägerin zu einer zunächst durchzuführenden prothetischen Interimsversorgung berechtigt hätten. Dem ist zum einen entgegenzuha...

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