Leitsatz (amtlich)
1. Die für die Feststellung der Invalidität erforderliche Dauerhaftigkeit ist nicht gegeben, wenn die krankheitsbedingte Beeinträchtigung der geistigen Leistungsfähigkeit (hier aufgrund einer rezidivierenden depressiven Störung) nur während akuter Phasen auftritt, deren Eintrittswahrscheinlichkeit zum maßgebenden Zeitpunkt deutlich unter 50 % liegt.
2. Eine nach Ziffer 5.2.6 AUB 2008 zum Leistungsausschluss führende psychische Beeinträchtigung der geistigen Leistungsfähigkeit liegt dann vor, wenn sie ausschließlich auf einer psychischen Reaktion auf das Unfallereignis beruht, d.h. wenn ihre Entstehung allein mit der psychogenen Natur der Verarbeitung des Gesamtgeschehens durch den VN erklärt werden kann und wenn der Unfall und seine physischen Folgen allenfalls Auslöser für ihre Entstehung geworden sein können; davon zu unterscheiden sind diejenigen Fälle, in denen der Unfall und seine physischen Folgen nicht nur Auslöser, sondern der eigentliche Grund für die Entstehung der psychischen Störung worden sind, denn dann kann nicht mehr lediglich von einer psychischen Reaktion auf das Unfallereignis ausgegangen werden.
Normenkette
AUB 2008 Ziff. 2.1.; AUB 2008 Ziff. 5.2.6
Verfahrensgang
LG Dortmund (Urteil vom 04.11.2015; Aktenzeichen 2 O 108/12) |
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das am 4.11.2015 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des LG Dortmund wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte kann die Vollstreckung durch die Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus diesem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 269.394,09 EUR bis zum 29.2.2016 und ab dem 1.3.2016 auf 69.800,00 EUR festgesetzt.
Gründe
A. Mit der Klage hat die Klägerin hat vom Beklagten Rückzahlung von geleistetem Krankenhaustagegeld und Genesungsgeld aus einer zwischen den Parteien geschlossenen Unfallversicherung geltend gemacht. Mit der Widerklage nimmt der Beklagte die Klägerin auf weitere Zahlung aus dem Unfallversicherungsvertrag in Anspruch.
Der am 22.3.1959 geborene Beklagte ist Handelsvertreter. Er hat sich im August 2010 in diesem Beruf selbstständig gemacht. Zuvor hatte er sich im April 2009 einem operativen Eingriff unterzogen, bei welchem im unteren Segment der Lendenwirbelsäule nach Ausräumung der Bandscheibe ein Implantat (so genannter Coupler) zu dynamischer Stabilisierung und Versteifung eingebracht worden ist. Im Anschluss daran befand er sich im Sommer 2009 und im Frühjahr 2010 für jeweils einige Tage in einer Klinik für manuelle Therapie (Schmerztherapie).
Am 8.6.2010 schloss der Beklagte mit der Klägerin einen Unfallversicherungsvertrag ab. Vereinbart ist als Leistung bei Invalidität die Zahlung eines Kapitalbetrages von 200.000 EUR, bei Vollinvalidität zusätzlich eine Monatsrente von 1.000 EUR, sowie die Zahlung von Krankenhaustagegeld und Genesungsgeld i.H.v. 100 EUR je Kalendertag (höchstens 10 Tage). Die monatliche Beitragsleistung beträgt 41,17 EUR. Die Parteien haben die Geltung der Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (AUB) 2008 sowie der Zusatzbedingungen 3076:10 und 3320:08 vereinbart.
Unter Zi. 2 der AUB 2008 haben sie auszugsweise Folgendes bestimmt:
"Die körperliche oder geistige Leistungsfähigkeit der versicherten Person ist unfallbedingt dauerhaft beeinträchtigt (Invalidität). Eine Beeinträchtigung ist dauerhaft, wenn sie voraussichtlich länger als drei Jahre bestehen wird und eine Änderung des Zustandes nicht erwartet werden kann. Die Invalidität ist innerhalb eines Jahres nach dem Unfall eingetreten und innerhalb von fünfzehn Monaten nach dem Unfall von einem Arzt in Textform festgestellt und von Ihnen bei uns geltend gemacht worden... Invaliditätsleistung zahlen wir als Kapitalbetrag ... Es gelten ausschließlich die folgenden Invaliditätsgrade:..." (Es folgen Angaben in Prozentsätzen)... "Bei Teilverlust oder teilweiser Funktionsbeeinträchtigung gilt der entsprechende Teil des jeweiligen Prozentsatzes ... Waren betroffene Körperteile oder Sinnesorgane oder deren Funktionen bereits vor dem Unfall dauerhaft beeinträchtigt, wird der Invaliditätsgrad um die Vorinvalidität gemindert. Diese ist nach Zi. 2.1.2.2.1 und Zi. 2.1.2.2.2 zu bemessen. "
Des Weiteren haben sie in Zi. 5 AUB 2008 folgende Regelung getroffen:
"Kein Versicherungsschutz besteht für folgende Unfälle:..
5.2.6 Krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen, auch wenn diese durch einen Unfall verursacht wurden."
In der Zusatzvereinbarung U 3076:10 (ZB exklusive 2008) haben die Parteien außerdem unter der Überschrift "Folgen psychischer und nervöser Störungen (zu Zi. 5.2.6 AUB 2008)" Folgendes bestimmt:
"Folgen psychischer und nervöser Störungen, die im Anschluss an einen Unfall eintreten, sind mitversichert, wenn und soweit diese Störungen auf eine durch den Unfa...