Entscheidungsstichwort (Thema)

Beweislast des Versicherers für unfallunabhängigen Verschleiß

 

Leitsatz (amtlich)

Anspruchsmindernd nach § 10 Abs. 1 AUB 61 ist nur die Mitwirkung von „Krankheiten oder Gebrechen”, soweit deren Mitwirkungsanteil mindestens 25 % beträgt. Dazu zählen normale Abnutzungs- und Verschleißerscheinungen im Sinne einer altersbedingten Veränderung des Körpers nicht.

Der Unfallversicherer muss deshalb darlegen und beweisen, dass unfallunabhängige Verschleißerscheinungen, die er nach § 10 Abs. 1 AUB 61 anspruchskürzend berücksichtigen will, über das altersgerechte Maß hinausgehen.

(hier: Verneint für einen degenerativen Bandscheibenvorschaden)

 

Normenkette

AUB 61 § 10 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Dortmund (Aktenzeichen 2 O 86/98)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin und die Anschlussberufung der Beklagten wird das am 26.8.1999 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des LG Dortmund unter Zurückweisung der Rechtsmittel im Übrigen teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, 21.498 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 22.7.1999 zu zahlen, und zwar 2.611,40 DM nebst aus dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des AG Mönchengladbach-Rheydt vom 16.12.1999 ersichtlichen Zinsen und Kosten an Prof. Dr. Udo E., J.-St.-Str. 9, K., und im Übrigen an die Klägerin.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des I. Rechtszuges werden zu 92 % der Klägerin und zu 8 % der Beklagten auferlegt.

Die Kosten der Berufungsinstanz tragen die Klägerin zu 62,5 % und die Beklagte zu 27,5 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die Beklagte aus einer Unfallversicherung – vereinbart sind die AUB 61 – auf Zahlung von Krankenhaus-, Genesungs- und Krankentagegeld sowie einer Invaliditätsentschädigung aus Anlass eines Unfalls vom 4.5.1996 in Anspruch.

Sie behauptet, an diesem Tag sei sie beim Überqueren einer abschüssigen Wiese auf einem Hühnerhaufen ausgerutscht und rücklings auf den Boden aufgeprallt. Sofort seien Schmerzen im Rücken und Nacken aufgetreten, die in den folgenden Tagen angehalten hätten.

Am 14.5.1996 begab die Klägerin sich in ärztliche Behandlung des praktischen Arztes Dr. B., der Salbe oder ABC-Pflaster verordnete. Am 19.6.1996 wurde sie auf Veranlassung des Neurologen Dr. G. kernspintomographisch untersucht; dabei wurden ein Bandscheibenvorfall im Segment C 5/C 6 und eine kleine Protrusion C 6/C 7 festgestellt.

Am 18.9.1997 wurde der Bandscheibenvorfall C 5/C 6 operiert.

Die Klägerin behauptet, der Bandscheibenvorfall sei auf den Unfall zurückzuführen. Auch nach der Operation seien unfallbedingte Dauerbeschwerden verblieben.

Die Beklagte, die vorprozessual Krankentagegeld für 14 Tage i.H.v. 854 DM gezahlt hat, verweigert weitere Leistungen. Sie bestreitet einen Kausalzusammenhang zwischen Unfall und Bandscheibenvorfall.

Durch das angefochtene Urteil hat das LG nach Einholung eines orthopädischen Gutachtens Prof. Dr. H./Dr. L. vom 9.2.1999 der Klage i.H.v. 19.254,25 DM stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen.

Gegen dieses Urteil richten sich die Berufung der Klägerin, die eine weitergehende Zahlung i.H.v. 59.043,75 DM erstrebt, und die Anschlussberufung der Beklagten, die die Klage insgesamt abgewiesen haben möchte.

 

Entscheidungsgründe

Die Berufung hatte lediglich in geringem Umfang Erfolg. Sie führt zu einer weitergehenden Verurteilung der Beklagten i.H.v. 2.243,75 DM; im Übrigen war sie unbegründet. Die Anschlussberufung war im Ergebnis gänzlich unbegründet.

1. Unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses der Beweisaufnahme ist der Senat mit der erforderlichen Sicherheit davon überzeugt, dass die Klägerin am 4.5.1996 den von ihr behaupteten Unfall (§ 2 Abs. 1 AUB 61) erlitten hat und dabei der Bandscheibenvorfall im Segment C 5/C 6 eingetreten ist.

Der Senat hat in Ergänzung der erstinstanzlichen Beweisaufnahme (schriftliches orthopädisches Sachverständigengutachten Prof. Dr. H./Dr. L. vom 9.2.1999) eine mündliche Erklärung dieses Gutachtens durch die Oberärztin Dr. L. veranlasst und zusätzlich ein neurochirurgisches Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Ha. vom 22.3.2001 nebst mündlicher Erläuterung im Senatstermin vom 6.7.2001 eingeholt. Außerdem ist der Zeuge J. B. gehört worden.

a) Dieser Zeuge hat den Klagevortrag zum Sturz der Klägerin auf den Rücken bestätigt. Bedenken gegen die Richtigkeit dieser Bekundung haben sich nicht ergeben.

b) Dieser Unfall war auch ursächlich für den in Rede stehenden Bandscheibenvorfall. Zwar ist der Beklagten zuzugeben, dass ein eher mäßiges Trauma, wie von der Klägerin geschildert, nicht geeignet ist, eine intakte Bandscheibe zu zerreißen. Davon gehen auch die in diesem Rechtsstreit gehörten Sachverständigen aus. Im Recht der privaten Unfallversicherung reicht jedoch eine adäquate Mitursächlichkeit des Unfalls für den Eintritt bestimmter Folgen im Zusammenwirken mit unfallfremden Ursachen (hier: degenerativer Vorschaden) zur Begründung von Leistungsansprüchen aus. Selbst wenn unfallfremde ...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?