Leitsatz (amtlich)
Zur Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge des aus einem Grundstück auf die Straße einbiegenden Verkehrsteilnehmers, der unmittelbar danach nach links in eine Straße abbiegen will, und dem ihn überholenden Fahrzeugführer.
Normenkette
StVG § 17; StVO §§ 10, 9 Abs. 1 S. 4
Verfahrensgang
LG Arnsberg (Urteil vom 26.09.2013; Aktenzeichen 1 O 142/12) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 26.9.2013 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 1. Zivilkammer des LG Arnsberg teilweise abgeändert:
Die Beklagten werden verurteilt, an den Kläger über den erstinstanzlich ausgeurteilten Betrag hinaus weitere 1.602,88 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.6.2013 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen der Kläger zu 26 % und die Beklagten als Gesamtschuldner zu 74 %.
Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beklagten als Gesamtschuldner.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Gemäß § 540 Abs. 1 ZPO wird auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils Bezug genommen, soweit sich aus dem Nachfolgenden nichts anderes ergibt. Durch das angefochtene Urteil hat das LG nach Einholung eines Unfallrekonstruktionsgutachtens eine Schadensverteilung von 75 % zu 25 % zu Lasten der Beklagten vorgenommen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers, mit der dieser die von dem LG vorgenommene Haftungsverteilung rügt und Ausgleich des ihm entstandenen Schadens zu 100 % begehrt.
Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil teilweise abzuändern, und die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen,
1. an ihn unter Einschluss der erstinstanzlich zugesprochenen 2.061,12 EUR einen Betrag von 3.664 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 1.508,91 EUR seit dem 26.4.2012 und aus 2.155,09 EUR seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
2. ihn von ihm weiter entstandenen anrechnungsfreien vorprozessualen Rechtsanwaltskosten seiner nunmehrigen Prozessbevollmächtigten, der O Rechtsanwälte Q, M, i.H.v. 287,75 EUR freizustellen.
Die Beklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigen das angefochtene Urteil mit näheren Ausführungen.
Die Akten 170 Js-Owi 1211/12 Staatsanwaltschaft Arnsberg lagen vor.
II. Die Berufung des Klägers hat Erfolg. Dem Kläger steht, gestützt auf §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 2 StVG, 823 Abs. 1 BGB, 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG, ein restlicher Schadensersatzanspruch i.H.v. 1.602,88 EUR zu. Der Kläger kann vollen Ersatz des ihm anlässlich des Verkehrsunfalls vom 27.3.2012 entstandenen Schadens verlangen, weil die nach § 17 Abs. 2 StVG vorzunehmende Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge ergibt, dass die Beklagten für die Folgen dieses Unfalls allein haften.
Der Senat hat mit der Terminsverfügung vom 7.1.2014 nach Vorberatung den Parteien seine Einschätzung der Rechtslage wie folgt mitgeteilt:
"Die von dem LG vorgenommene Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge nach § 17 Abs. 2 StVG ist nicht frei von Rechtsfehlern. In diese Abwägung dürfen nur die unstreitigen und bewiesenen unfallursächlichen Verursachungsbeiträge eingestellt werden. Die Ausführungen des LG lassen besorgen, dass es einen behaupteten Geschwindigkeitsverstoß seitens des Fahrers des klägerischen Fahrzeugs in die Abwägung einbezogen hat, obwohl nach den tatsächlichen Feststellungen des LG die Beweisaufnahme ein Verschulden seitens des Fahrers des klägerischen Fahrzeugs nicht ergeben hat. In die Abwägung nach § 17 Abs. 2 StVG ist daher auf Seiten des Klägers nur die von dessen Fahrzeug ausgehende Betriebsgefahr einzustellen. Demgegenüber belastet die Beklagten ein erhebliches unfallursächliches Verschulden der Beklagten zu 1) nach § 10 StVO und § 9 Abs. 1 Satz 4 StVO. Dass die Beklagte zu 1) die erhöhten Sorgfaltsanforderungen nach § 10 StVO nicht beachtet hat, hat das LG in Anwendung der Anscheinsbeweisgrundsätze zutreffend bejaht, weil sich der Unfall noch im engen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Einfahren in den fließenden Verkehr ereignet hat. Daneben hat die Beklagte zu 1) es unterlassen, sich durch die zweite Rückschau unmittelbar vor Beginn des Abbiegevorgangs über den rückwärtigen Verkehr zu vergewissern. In ihrer schriftlichen Anhörung vom 29.3.2012, Bl. 31 BA, hat die Beklagte zu 1) eingeräumt, sich vor dem Abbiegen nicht durch einen Schulterblick über den rückwärtigen Verkehr vergewissert zu haben.
Angesichts des schwer wiegenden Verschuldens ist es aus Sicht des Senats gerechtfertigt, die vom Fahrzeug des Klägers ausgehende Betriebsgefahr unberücksichtigt zu lassen."
An dieser Bewertung hält der Senat nach Durchführung der mündlichen Verhandlung nach erneuter Beratung fest.
Entgegen der Ansicht der Beklagten fließt auch der schuldhafte Verstoß der Beklagten zu 1) gegen § 10 StVO in die nach § 17 Abs. 2 StVG vorzunehmende Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge ein. Die mit dem Einfahren aus der Grundstückseinfahrt auf die Fahrbahn regelmäßig verbundenen besonderen Gefahren, denen ...