Leitsatz (amtlich)
Die Teilhabe des Pflichtteilsberechtigten am Nachlass ist bei einer Verurteilung wegen schweren Raubes nicht in jedem Fall unzumutbar.
Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers ist das dann der Fall, wenn die Straftat den persönlichen in der Familie gelebten Wertvorstellungen des Erblassers in hohem Maße widerspricht.
Die Unzumutbarkeit der Nachlassteilhabe gemäß § 2333 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 BGB ist aber nicht generell im Sinne eines Regelfalls zu vermuten. Vielmehr kommt es für die Beurteilung der Unzumutbarkeit der Nachlassteilhabe darauf an, ob sich das Verhalten des grundsätzlich pflichtteilsberechtigten Abkömmlings in dem konkreten Einzelfall als schwere Missachtung der Familiensolidarität darstellt, was durch eine Gesamtabwägung der Umstände des Einzelfalles festzustellen ist.
Normenkette
BGB §§ 2301, 2333 Abs. 1 Nr. 4 S. 1, § 2336
Verfahrensgang
LG Bochum (Aktenzeichen 6 O 316/17) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 13.03.2023 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Bochum abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 19.568,25 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.09.2017 zu zahlen.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz trägt der Kläger zu 32 % und die Beklagte zu 68 %.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger zu 14 % und die Beklagte zu 86 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Parteien streiten im Wege der Stufenklage um Pflichtteilsansprüche, die der Kläger gegen die Beklagte geltend macht. Der Kläger begehrt nunmehr auf der letzten Stufe die Auszahlung seines Pflichtteils.
Der Kläger ist der Sohn der Beklagten und des am 00.00.0000 geborenen und am 00.00.0000 verstorbenen Y. J. (nachfolgend: Erblasser), der mit der Beklagten verheiratet war. Die Beklagte und der Erblasser hatten neben dem Kläger noch zwei weitere Abkömmlinge, die beiden jüngeren Geschwister des Klägers B. und U..
Der Kläger wurde am 08.12.1992 durch das Amtsgericht Bochum - 28 Ls 23 Js 1095/92 - wegen gemeinschaftlichen schweren Raubes unter Einbeziehung von Vorverurteilungen wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern, Fahrens ohne Fahrerlaubnis und gemeinschaftlichen Diebstahls im besonders schweren Fall zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Der Vorverurteilung wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern durch das Urteil des Amtsgerichts Bochum vom 18.04.1991 (Az.: 28 Ls 36 Js 150/90) lag ausweislich der in dem Strafurteil getroffenen Feststellungen zugrunde, dass der Kläger im Alter von 16 und 17 Jahren im Einverständnis mit seiner damals erst 13-jährigen Freundin den Geschlechtsverkehr ausführte, obwohl er Kenntnis hatte, dass sie erst 13 Jahre alt war.
Am 00.00.0000 verstarb D. J., die Mutter des Erblassers. Sie wurde von ihm alleinbeerbt. Zu dem Nachlass zählten insbesondere die beiden in R. gelegenen Immobilien M.-straße # und I.-straße ##. Diesbezüglich übernahm der Erblasser noch valutierende Darlehen bei der E.-Bank (Kontonummern N01 und N02), die vormals für die Renovierung der Häuser aufgenommen worden waren.
Der Erblasser verstarb am 00.00.0000. Die Beklagte wurde aufgrund eines handschriftlich geschriebenen und unterschriebenen gemeinschaftlichen Testaments des Erblassers und der Beklagten vom 01.08.2013 die Alleinerbin des Erblassers. Insoweit wurde ihr auch ein entsprechender Erbschein erteilt. Erben des Letztversterbenden sollen nach dem gemeinschaftlichen Testament B. und U. J., die beiden weiteren Abkömmlinge der Eheleute, werden.
In dem gemeinschaftlichen Testament heißt es des Weiteren - wörtlich - wie folgt:
"Unseren ehelichen Sohn X. J. und seine eventuellen Nachkommen enterben wir hiermit, da bereits eine mehrjährige Haftstrafe wegen Todschlag verbüßt hat und auch uns schon mehrfach bedroht hat."
Mit anwaltlichem Schreiben vom 29.08.2017 forderte der Kläger die Beklagte vorgerichtlich erfolglos unter Fristsetzung bis zum 15.09.2017 zur Übermittlung eines notariellen Nachlassverzeichnisses auf und stellte seinen Pflichtteilsanspruch, zunächst unbeziffert, ebenfalls bis zum 15.09.2017 fällig.
Ursprünglich hat der Kläger die Beklagte mit der am 28.09.2017 bei Gericht eingegangenen Stufenklage auf Auskunft, Wertermittlung und Zahlung des noch zu beziffernden Pflichtteils in Anspruch genommen. Die Stufenklage ist der Beklagten bereits im Rahmen des Prozesskostenhilfeprüfungsverfahrens übermittelt worden. Mit Beschluss vom 08.12.2017 hat das Landgericht dem Kläger zunächst für die erste Stufe der Stufenklage Prozesskostenhilfe bewilligt. Die Klageschrift ist der Beklagten am 19.12.2017 zugestellt worden.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie ist der Ansicht gewesen, dass der Erblasser dem Kläger wirksam den Pflichtteil gemäß §§ 2333 Abs. 1 Nr. 4, 2336 BGB entzogen habe. Hierzu hat sie behauptet, dass die Tat des Klägers,...