Leitsatz (amtlich)
1. Ein Beschluss der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft, mit dem einem Vorstand das Vertrauen entzogen worden ist, kann von dem Vorstand, der Minderheitsaktionär ist, nicht allein mit der Begründung angefochten werden, der Vertrauensentzug sei aus offenbar unsachlichen Gründen i.S.d. § 84 Abs. 3 S. 2 AktG erfolgt.
Ein Anfechtungsgrund kann zwar u.U. in der Verletzung der Treuepflicht durch die Hauptversammlungsmehrheit liegen, wenn der Beschluss sich nicht am Gesellschaftswohl orientiert und der Förderung des Gesellschaftszwecks zuwider läuft. Der Hauptversammlungsmehrheit steht jedoch ein unternehmerisches Ermessen zu, so dass nur in Ausnahmefällen, in denen der Sachverhalt nur eine Entscheidung zulässt, eine Ermessensreduzierung auf Null eintritt, deren Verletzung die Anfechtbarkeit des Beschlusses begründen kann.
2. Das Rechtsschutzinteresse an der Feststellung der Unwirksamkeit eines Aufsichtsratsbeschlusses einer Aktiengesellschaft, mit dem die Bestellung eines Vorstands widerrufen worden ist, kann auch dann noch bestehen, wenn die reguläre Amtszeit des Vorstandes abgelaufen wäre.
3. Die auf Feststellung der Unwirksamkeit eines Aufsichtsratsbeschlusses, mit dem die Bestellung eines Vorstands widerrufen worden ist, ist nicht allein deshalb unzulässig, weil der Vorstand bereits mit einem früheren Beschluss abberufen worden ist, der ebenfalls gerichtlich angegriffen worden ist.
4. Der Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung ist nicht schon deshalb missbräuchlich und daher aus offenbar unsachlichen Gründen i.S.v. § 84 Abs. 3 S. 2 AktG erfolgt, wenn die Hauptversammlung ihn auf Gründe stützt, die den Aufsichtsrat zuvor bereits zur Abberufung aus wichtigem Grund wegen grober Pflichtverletzung veranlasst hatten.
Normenkette
AktG § 84 Abs. 3, § 243 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Münster (Urteil vom 09.07.2009; Aktenzeichen 22 O 157/08) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 9.7.2009 verkündete Urteil des LG Münster teilweise abgeändert.
Es wird festgestellt, dass der Widerruf der Bestellung des Klägers zum Vorstandsmitglied der Beklagten durch Beschluss des Aufsichtsrats der Beklagten vom 30.5.2008 unwirksam ist.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 70 % und die Beklagte zu 30 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Beide Parteien können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des auf Grund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
A. Der Kläger, der Vorstandsvorsitzender der Beklagten war, wendet sich gegen den Widerruf seiner Bestellung durch deren Aufsichtsrat sowie gegen eine Beschlussfassung der Hauptversammlung, mit der ihm das Vertrauen entzogen worden war.
Der Kläger war seit 1997 Vorstandsmitglied der Beklagten, zuletzt als Vorstandsvorsitzender neben dem weiteren Vorstand Prof. I3. Sein Amt war im Jahre 2007 bis zum 31.12.2009 verlängert worden. Er hält auch Aktien an der Beklagten, und zwar unter Einschluss der von seiner Ehefrau und seinen Kindern gehaltenen Aktien im Umfang von ca. 15 %.
Der aus dem Mehrheitsaktionär T4 und zwei weiteren Mitgliedern bestehende Aufsichtsrat der Beklagten widerrief mit Beschluss vom 30.05./3.6.2008 die Bestellung des Klägers zum Vorstand mit der Begründung, das Vertrauensverhältnis zwischen dem Kläger und den Mitgliedern des Aufsichtsrats, insbesondere dem Aufsichtsratsvorsitzenden T4, sei nachhaltig und irreparabel zerstört. Die Hauptversammlung der Beklagten fasste am 21.6.2008 mehrheitlich den Beschluss, dem Kläger als Mitglied des Vorstands das Vertrauen zu entziehen. Am selben Tag bestätigte der Aufsichtsrat unter Hinweis auf diese Vertrauensentziehung den Beschluss über die Abberufung des Klägers. Nach Erhebung der vorliegenden Klage beschloss der Aufsichtsrat am 18.9.2008 erneut die Abberufung des Klägers als Mitglied des Vorstandes. Die beiden letztgenannten Beschlüsse wurden dem Kläger mit Schreiben vom 23.9.2008 zugestellt.
Der Kläger vertritt die Auffassung, der Widerruf seiner Bestellung zum Vorstand sei unwirksam, da es an einem wichtigen Grund hierfür fehle. Weder habe er seine Pflichten verletzt noch sei er unfähig zur Ausübung seines Amtes. Auch auf den Vertrauensverlust der Hauptversammlung könne die Abberufung nicht gestützt werden, weil das Vertrauen aus offenbar unsachlichem Grund entzogen worden sei. Grund für die Abberufung sei allein das eigensüchtige Interesse des Mehrheitsaktionärs T4 gewesen, ihn aus dem Amt zu entfernen und damit wirtschaftliche Vorteile im Zusammenhang mit Aktienoptionsvereinbarungen zu erlangen. Sachliche Gründe, die einen Vertrauensverlust rechtfertigen könnten, gebe es nicht. Soweit unterschiedliche Auffassungen zu einzelnen Sachverhalten geäußert worden seien, habe er, der Kläger, jeweils seine Aufgaben im Interesse der Gesellschaft wahrgenommen. Der Kläger hat zudem die Auffassung vertre...