Leitsatz (amtlich)
Einem Patienten steht ein Schmerzensgeld i.H.v. 40.000 EUR zu, nachdem er sich im Krankenhaus mit MRSA-Keimen (multiresistenten Staphylokokken) infiziert hat, weil ein Krankenpflegeschüler beim Abmachen einer Infusionskanüle Hygienevorschriften verletzt hat.
Normenkette
BGB §§ 823, 253
Verfahrensgang
LG Arnsberg (Urteil vom 07.02.2012; Aktenzeichen 5 O 4/11) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 7.2.2012 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer des LG Arnsberg wie folgt abgeändert:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld i.H.v. 40.000 EUR zzgl. Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 9.10.2010 zu zahlen;
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, allen materiellen und derzeit nicht vorhersehbaren weiteren immateriellen Schaden aus der Pflichtverletzung der Beklagten zu ersetzen, soweit der Anspruch nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen ist.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aus dem Urteil zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger macht Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung geltend.
Der Kläger befand sich vom 3.3.2008 bis zum 28.3.2008 in stationärer Behandlung der Beklagten. Er erhielt während dieser Zeit zur Behandlung eines Tinnitus Infusionen über eine Venenverweilkanüle. Ab dem 9.3.2008 zeigte sich eine zunehmende Schwellung und Rötung am linken Arm des Klägers. Am 16.3.2008 wurde von der Beklagten eine Blutkultur durchgeführt, die ergab, dass der Kläger mit MRSA-Keimen infiziert war. Nachdem eine Besiedlung mit MRSA-Keimen nach erfolgter Behandlung nicht mehr nachgewiesen werden konnte, wurde der Kläger am 28.3.2008 entlassen.
Der Kläger hat ein angemessenes Schmerzensgeld i.H.v. mindestens 20.000 EUR, materiellen Schadensersatz sowie die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für künftige materielle und immaterielle Schäden mit der Behauptung geltend gemacht, ein Zivildienstleistender habe am 5.3.2008 bei dem zeitweiligen Entfernen der Kanüle vor dem Abstöpseln der Infusion einem Mitpatienten eine eitrige Wunde versorgt ohne danach die Handschuhe zu wechseln. Der auf den Boden gefallene Infusionsschlauch sei weiter verwendet worden. Dadurch habe er sich mit MRSA-Keimen infiziert. Folge dieser Sepsis sei eine Spondylodiszitis und ein Abzess im Bereich der Lendenwirbelsäule gewesen, die neurochirurgisch versorgt werden mussten.
Das LG hat die Klage nach Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens und mündlicher Anhörung des Sachverständigen abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, ein Verstoß gegen Hygienestandards sei nicht nachgewiesen. Da die Einhaltung von Hygienemaßnahmen nicht dokumentationspflichtig sei, komme dem Kläger eine Beweiserleichterung nicht zugute. Der Kläger habe zu beweisen, dass eine Hygienemaßnahme schuldhaft nicht eingehalten oder fehlerhaft ausgeführt worden sei, und dass die Infektion darauf beruhe. Ein Verstoß gegen den von der Beklagten vorgelegten Hygieneplan stehe aber nicht fest, denn eine MRSA-Infektion könne nach den Ausführungen des Sachverständigen auch bei Einhaltung der Hygieneregeln auftreten. Dem Kläger komme auch kein Anscheinsbeweis zu gute. Dafür sei allein der zeitliche Zusammenhang zwischen Infusion und Infektion nicht ausreichend. Dass die Mitpatienten des Klägers MRSA-Träger gewesen seien, stehe zudem nicht fest. Die Beklagte habe zwar die Gefährlichkeit der Infektion nicht richtig eingeschätzt. Da jedoch richtig darauf reagiert worden sei, habe sich diese Fehleinschätzung nicht ausgewirkt. Darin, dass eine Blutkultur trotz persistierender Schmerzen nicht frühzeitiger angelegt worden sei, liege zwar ein Befunderhebungsfehler. Die Unterlassung der Befunderhebung hätte aber nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit auch einen reaktionspflichtigen Befund ergeben. Bei Entlassung des Klägers habe es aufgrund des Laborbefundes keine Veranlassung für eine weitere Antibiotikagabe gegeben. Wegen der weiteren Feststellungen wird auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.
Hiergegen richtet sich die zulässige Berufung des Klägers, der sei erstinstanzliches Begehren weiterverfolgt. Zur Begründung trägt er vor, das LG habe es unterlassen, ihn gem. § 448 ZPO als Partei zu vernehmen und die Behandlungsdokumentation als Urkundenbeweis zu verwerten. Es habe auch berücksichtigen müssen, dass die Beklagte den Zivildienstleistenden bzw. die Pflegekraft, der die fehlerhafte Behandlung vorgenommen habe, kenne und den Sachverhalt aufklären könne. Das LG habe auch übersehen, dass ein Zivildienstleistender nicht befähigt gewesen sei, die Behandlung vorzunehmen. Es sei daher ...