Leitsatz (amtlich)
Zu Fragen der Verjährung des Schadensersatzanspruchs und zu den (fehlenden) Voraussetzungen des § 852 BGB im Rahmen einer Schadensersatzklage gegen den Hersteller des Motors (wie BGH VII ZR 442/21 und BGH Via ZR 441/21) sowie zu der Frage, ob der Schadensersatzanspruch mit einem durch ein aufgespieltes Software-Update installierten Thermofenster als einer unzulässigen Abschalteinrichtung begründet werden kann.
Normenkette
BGB §§ 31, 214, 823, 826, 852
Verfahrensgang
LG Bielefeld (Aktenzeichen 9 O 412/20) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 23.09.2021 verkündete Urteil des Einzelrichters der 9. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld abgeändert.
Die Klage wird insgesamt abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern die Beklagte vor der Vollstreckung nicht Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
I. Die Klägerin verlangt von der Beklagten Schadensersatz aufgrund des Erwerbs eines Neufahrzeugs Audi Q5 2,0 TDI quattro mit verbindlicher Bestellung vom 10.10.2014 zum Preis von 44.000,00 EUR, dessen von der Beklagten produzierter Motor der Baureihe EA 189 mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet war.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird gemäß § 540 ZPO auf die Feststellungen des angefochtenen Urteils verwiesen.
Das Landgericht hat der Klage weitgehend stattgegeben und die Beklagte unter Abweisung der weitergehenden Klage verurteilt, an die Klägerin 14.532,40 EUR nebst Zinsen und vorgerichtlicher Kosten zu zahlen. Zur Begründung hat es ausgeführt:
Die Klage sei im Wesentlichen begründet. Der Beklagten falle eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung der Käufer durch Inverkehrbringen ihrer Motoren zur Last, weil sie systematisch die Motorsteuerungssoftware so programmiert habe, dass die gesetzlich vorgeschriebenen Abgaswerte nur auf dem Prüfstand eingehalten würden, und diesen Umstand den Erwerbern verschwiegen habe. Von den Vorstandsmitgliedern der Beklagten sei dies zumindest gebilligt und mitgetragen worden. Wäre der Klägerin die Manipulation bekannt gewesen, hätte sie das Fahrzeug nicht erworben. Die Klägerin müsse sich eine Nutzungsentschädigung von 14.327,60 EUR sowie den Verkaufserlös für das inzwischen verkaufte Fahrzeug in Höhe von 15.000,00 EUR anrechnen lassen. Zwar sei die Forderung verjährt, weil die dreijährige Verjährungsfrist jedenfalls mit Ablauf des Jahres 2016 begonnen habe, nachdem die Klägerin von der Betroffenheit ihres Fahrzeugs von der Dieselproblematik im Lauf dieses Jahres erfahren habe. Nach Vollendung der Verjährung Ende mit Ablauf des Jahres 2019 sei eine Hemmung durch die erst im Jahre 2020 erhobene Klage nicht erfolgt. Jedoch könne die Klägerin ihren Schaden gemäß § 852 BGB weiter im Umfang des durch die unerlaubte Handlung auf ihre Kosten Erlangten verlangen. Ihr Schaden durch Abschluss des Kaufvertrages über das Fahrzeug sei durch die Handlung der Beklagten äquivalent und kausal verursacht worden. Die Beklagte habe entsprechend dem von der Beklagten nicht ausreichend konkret bestrittenen Vorbringen der Klägerin von dem Kaufpreis für das Fahrzeug mindestens 85 % vereinnahmt. Aufgrund ihrer Bösgläubigkeit könne die Beklagte keine nachträgliche Entreicherung wegen Kosten für das Softwareupdate etc. anspruchsmindernd geltend machen.
Mit der Berufung wendet sich die Beklagte gegen ihre Verpflichtung zur Herausgabe einer bei ihr verbliebenen Bereicherung. Sie macht geltend, dass die Vorschrift des § 852 BGB nicht anwendbar sei, weil die Klägerin versäumt habe, sich der gegen sie - die Beklagten - gerichteten Musterfeststellungsklage vor dem OLG Braunschweig anzuschließen. Zudem könne der Kaufpreis für das Fahrzeug nicht zur Ermittlung des bei ihr verbliebenen Vermögensvorteils herangezogen werden. Durch die Verwendung der Umschaltlogik habe sie lediglich 93,00 EUR pro Fahrzeug erspart, ihr Gewinn beim Verkauf eines von ihr hergestellten Fahrzeugs betrage 600,00 EUR. Die Schadensschätzung des Landgerichts sei fehlerhaft. Aufwendungen zur Schadensminderung und -beseitigung, welche bei ihr angefallen seien, seien abzugsfähig und minderten den ihr verbliebenen Vermögensvorteil auf Null. Darüber hinaus könne die Klägerin auch keine außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten ersetzt verlangen, weil die außergerichtliche Rechtsverfolgung nicht erforderlich und zweckmäßig gewesen sei.
Die Beklagte beantragt,
wie erkannt.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil mit näheren Ausführungen. Darin vertritt sie die Auffassung, dass ihre Ansprüche schon nicht verjährt seien und die Vorschrift des § 852 BGB zu ihren Gunsten anwendbar sei.
II. Die zulässige Berufung ist begründet und führt zur vollständigen Klageabweisung...