Leitsatz (amtlich)
1. Der Beschluss über die Entlastung eines Vorstandes einer Genossenschaft ist nichtig, wenn die Beschlussfassung zuvor nicht angekündigt worden war.
2. Die Wahl eines früheren Vorstandes in den Aufsichtsrat einer Genossenschaft ist nichtig, wenn der Vorstand nicht zuvor wirksam entlastet wurde.
3. In den Aufsichtsrat einer Genossenschaft kann auch ein Nichtmitglied gewählt werden. Der Gewählte hat im Fall der Annahme seiner Wahl die Pflicht beizutreten und das Recht, als Mitglied aufgenommen zu werden. Mit der Aufnahme als Mitglied wird die Wahl wirksam.
4. Zur Befugnis eines Mitglieds einer Genossenschaft, die gerichtliche Feststellung der Nichtigkeit eines Aufsichtsratsbeschlusses zu verlangen.
Normenkette
GenG § 37 Abs. 2, §§ 44-45, 46 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Arnsberg (Aktenzeichen 1 O 238/17) |
Tenor
Die Berufung des Klägers zu 3) gegen das am 18.07.2018 verkündete Urteil des Landgerichts Arnsberg wird zurückgewiesen.
Der Kläger zu 3) trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger zu 3) kann die Zwangsvollstreckung aus beiden Urteilen durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund der Urteile vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
A. I. Die Kläger begehren die Feststellung der Nichtigkeit, hilfsweise Nichtigerklärung von bestimmten Beschlüssen der Generalversammlungen der Beklagten vom 26.10.2017 sowie vom 19.12.2017, der Wahl des Aufsichtsratsvorsitzenden der Beklagten vom 26.10.2017, von Beschlüssen von Aufsichtsrat und Vorstand vom 6.11.2017 sowie eines Beschlusses des Vorstands vom 6.11.2017.
Die Beklagte ist eine Wohnungsbaugenossenschaft. Der Berufungskläger und erstinstanzliche Kläger zu 3 (im Folgenden: Kläger) war zumindest bis Ende 2017 Mitglied der Beklagten.
Der Kläger greift vor allem Beschlüsse der Generalversammlung vom 26.10.2017 an, da die Einberufung, erfolgt durch Herrn M, fehlerhaft gewesen sei (dazu 1.). Zudem rügt er, bei der Stimmabgabe seien Stimmrechtsübertragungen zu Unrecht berücksichtigt oder nicht berücksichtigt worden (dazu 2.). Ferner seien die Beschlüsse von Aufsichtsrat und Vorstand in der gemeinsamen Sitzung der Gremien vom 6.11.2017 unwirksam (dazu 3.). Auch die Beschlüsse der Generalversammlung vom 19.12.2017 greift der Kläger an, weil die durch Herrn M ausgesprochene Einberufung fehlerhaft gewesen sei (dazu 5.)
1. Der Einberufung der Versammlung durch Herrn M lag folgender Sachverhalt zugrunde.
Herr W, der seit 2.6.2016 Vorstand der Beklagten war, wurde in der Generalversammlung vom 28.10.2016 gemeinsam mit Herrn L als Aufsichtsratsmitglied gewählt. Er nahm die Wahl an und legte sein Vorstandsamt nieder. Ob Herr W in der Versammlung als Vorstandsmitglied entlastet wurde, ist umstritten. Jedenfalls war die Entlastung in der Einladung zu der Versammlung vom 12.10.2016 nicht als Tagesordnungspunkt angekündigt.
In einer an die Generalversammlung anschließenden Sitzung vom 28.10.2016 wählte der Aufsichtsrat Herrn W zum Vorsitzenden des Gremiums, Herrn M zum stellvertretenden Vorsitzenden und bestellte den bisherigen Aufsichtsratsvorsitzenden Herrn W1 zum Mitglied des Vorstands. In einer weiteren Sitzung vom 1.8.2017 bestellte der Aufsichtsrat unter Mitwirkung auch von Herrn W Frau W2 zum Mitglied des Vorstands; dies wurde auch in das Genossenschaftsregister eingetragen.
Anfang Oktober 2017 verlangten mehr als 10 % der Mitglieder der Beklagten die Einberufung einer Generalversammlung. In der Annahme, die Wahl von Herrn M1 sei mangels wirksamer vorheriger Entlastung unwirksam, lud Herr M mit Schreiben vom 06.10.2017 als "Interims-Vorsitzender" zu einer Generalversammlung vom 26.10.2017 ein.
2. Für die Versammlung erhielt der spätere Prozessbevollmächtigte der erstinstanzlichen Kläger Rechtsanwalt Dr. B zwei Stimmkarten. Herr W1 begehrte aufgrund einer auf ihn lautenden Vollmacht des Mitglieds Herrn O eine Stimmkarte. Diese Stimmkarte wurde indes Herrn P ausgehändigt. Der Beklagten lag eine Betreuungsurkunde des Amtsgerichts Meschede vom 30.11.2009 vor, mit der P zum Betreuer des Herrn O für den
Aufgabenkreis "Gesundheitsfürsorge, Aufenthaltsbestimmung,
Vermögensangelegenheiten und Vertretung bei Behörden und Ämtern" bestellt wurde.
Herr M leitete die Versammlung am 26.10.2017. Er berichtete in der Versammlung von Pflichtverletzungen der Herren W1 und W und Frau W2. Die Versammlungsteilnehmer stimmten - unter anderem - wie folgt über Beschlussvorlagen ab:
- Für die Abberufung des Aufsichtsratsmitglieds L gab es 58 Ja-Stimmen und 21 Nein-Stimmen.
- Für die Erweiterung des Aufsichtsrates auf fünf Mitglieder gab es 51 JaStimmen, 21 Nein-Stimmen und keine Enthaltung.
- Für die Wahl zum Aufsichtsrat gab es o für Herrn G 62 Ja-Stimmen, 20 Nein-Stimmen, 1 Enthaltung, o für Herr X 60 Ja-Stimmen, 20 Nein-Stimmen, 1 Enthaltung, o für Herrn N 62 Ja-Stimmen, 20 Nein-Stimmen, 1 Enthaltung.
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