Leitsatz (amtlich)
1. Vereinsrechtliche Disziplinarmaßnahmen unterliegen einer beschränkten Kontrolle durch die staatlichen Gerichte, die sich auf die Prüfung erstreckt, ob die verhängte Maßnahme eine Stütze im Gesetz und im vereinsinternen Regelwerk hat, ob das satzungsmäßig vorgeschriebene Verfahren beachtet, sonst keine Gesetzes- oder Satzungsverstöße vorgekommen sind, ob elementare rechtsstaatliche Normen eingehalten wurden und ob die zugrundeliegenden Tatsachenermittlungen fehlerfrei sind.
2. Bei sozial mächtigen Verbänden ist darüber hinaus auf die inhaltliche Angemessenheit und Bestimmtheit der angewandten Regelungen, die einen Ausgleich zwischen den berechtigten Interessen des Verbandes und den schutzwürdigen Interessen derjenigen, die der Verbandsgewalt unterworfen sind, herstellen, zu beurteilen. Insbesondere darf durch die Anwendung von Verbandsnormen keine willkürliche oder unbillige, den Grundsätzen von Treu und Glauben widersprechende Behandlung festgestellt werden.
3. Eine Wiedereröffnung des Verfahrens nach § 156 ZPO darf die Präklusionsvorschrift des § 296 ZPO nicht obsolet machen.
Normenkette
BGB §§ 249, 252, 280 Abs. 1; ZPO §§ 156, 287, 296
Verfahrensgang
LG Dortmund (Aktenzeichen 3 O 490/20) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 05.07.2022 verkündete Urteil des Landgerichts Dortmund (Az.: 3 O 490/20) unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert.
Der Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung des Versäumnisurteils des Landgerichts vom 17.09.2021 (Az.: 3 O 490/20) und über die rechtskräftige Teilverurteilung des Landgerichts vom 05.07.2022 (Az.: 3 O 490/20) hinaus verurteilt,
an den Kläger 96.647,05 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 96.000 EUR seit dem 25.06.2020 und aus 647,05 EUR seit dem 12.05.2022,
an den Kläger 465 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 23.01.2021
und an den Kläger weitere vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 681,14 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 25.06.2020 zu zahlen.
Im Übrigen bleibt es im Hauptausspruch bei der rechtskräftigen Teilverurteilung des Beklagten vom 05.07.2022 und der Klageabweisung im insoweit aufrechterhaltenen Versäumnisurteil vom 17.09.2021.
Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen mit Ausnahme der durch die erstinstanzliche Säumnis vom 17.09.2021 veranlassten Kosten, die der Kläger zu tragen hat.
Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.
Beide Parteien dürfen die Zwangsvollstreckung jeweils durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des insgesamt aufgrund der Urteile gegen sie vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung eine Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Gründe
I. Die Parteien streiten um Schadensersatz nach einem Verwaltungsentscheid des Beklagten über das Wettkampfergebnis eines Halbfinal-Vorkampfes in der deutschen Ringer-Bundesliga 2018/2019.
Der Kläger ist ein Turn- und Sportverein mit einer Abteilung für Ringen mit Sitz in P.-B. im N. (Landkreis Q. in Baden-Württemberg). Er ist Mitglied des Südbadischen Ringerverbandes e.V., der wiederum als Landesorganisation Mitglied des Beklagten ist. Die Mitglieder des Klägers bestreiten Wettkämpfe in der deutschen Ringer-Bundesliga.
Der Beklagte ist Dachverband der deutschen Ringervereine mit Sitz in Ü und veranstaltet u.a. die Wettkämpfe in der deutschen Ringer-Bundesliga. Dabei ist es u.a. seine Aufgabe, die Rundenkämpfe für die Bundesliga anzusetzen (vgl. § 3 lit. g der "Satzung (SA) des TM.", Anlage B1, Bl. 44 ff. GA I) und einen fairen Wettbewerb und eine einheitliche Regelauslegung für alle den Ringkampfsport pflegenden Mitgliederverbände, auch in Anlehnung an die hierüber bestehenden internationalen Bestimmungen, zu gewährleisten (§ 3 lit. f der Satzung). Das Präsidium des Beklagten besteht u.a. aus einem Präsidenten (damals X. S.) und fünf Vizepräsidenten, von denen ein Vizepräsident den Aufgabenbereich "Bundesliga" (damals der Zeuge C. T.) wahrnimmt (vgl. § 24 Abs. 1 der Satzung). Nach § 34 der Satzung ist die Haftung des Beklagten gegenüber Vereinsmitgliedern für Entscheidungen seiner Organe, Rechtsorgane, Referate und weiteren Gremien auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränkt.
Der Beklagte führt die deutsche Ringer-Bundesliga als Lizenzliga. Vereine bedürfen zur Teilnahme einer Lizenz. Nach § 1 Abs. 5 des sog. "Lizenzringerstatut (LRSt) des TM." (Anlage B2, Bl. 63 ff. GA I) unterwerfen sich der Ringer und der Verein den Satzungen, Ordnungen und Entscheidungen der Organe und Beauftragten des Beklagten bzw. der jeweiligen Landesorganisationen.
Der Beklagte erließ zur Organisation der Bundesliga sog. "Richtlinien für die Kämpfe der Ringer-Bundesliga 2018/2019" (Anlage K1, Ordner Anlagen zur Klageschrift), die am 01.05.2018 in Kraft tr...