Leitsatz (amtlich)
Ein erwerbsunfähiges Kind ist verpflichtet, einen Antrag auf Grundsicherung zu stellen. Ein Verstoß gegen diese Obliegenheit führt zur Anrechnung fiktiver, bedarfsdeckender Einkünfte aus der Grundsicherung.
Eine dauerhafte volle Erwerbsminderung ist gegeben, wenn zum einen auf nicht absehbare Zeit keine Tätigkeit von mindestens 3 Stunden täglich ausgeübt werden kann und wenn die Behebung der vollen Erwerbsminderung unwahrscheinlich ist. Unter "auf nicht absehbare Zeit" wird in der gesetzlichen Rentenversicherung ein Zeitraum von mindestens sechs Monaten verstanden. Für die prognostische Beurteilung der Dauerhaftigkeit ist ein Zeitrahmen von drei Jahren anzusetzen.
Normenkette
SGB XII § 41; SGB VI § 43 Abs. 2 S. 2
Verfahrensgang
AG Dortmund (Beschluss vom 21.11.2014; Aktenzeichen 115 F 5820/13) |
Tenor
Auf die Beschwerde wird der Beschluss des AG - Familiengericht - Dortmund vom 21.11.2014 abgeändert und der Antrag der Antragstellerin zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz trägt die Antragstellerin.
Der Verfahrenswert für die Beschwerde wird auf 6.048,- EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die am ... 1993 geborene Antragstellerin ist die Tochter des Antragsgegners. Sie lebt im Haushalt ihrer Mutter, der geschiedenen Ehefrau des Antragsgegners.
Durch Vergleich vom 27.11.2012 (AG Sulingen, Aktenzeichen 1 F 199/12 UK) war der Antragsgegner verpflichtet, der Antragstellerin bis Juni 2013 monatlichen Kindesunterhalt in Höhe von 378,- EUR zu zahlen.
Im Juli 2012 erwarb die Antragstellerin ihren Hauptschulabschluss und war für das Schuljahr 2012/2013 an der Berufsfachschule Hauswirtschaft und Pflege mit dem Schwerpunkt Hauswirtschaft und der Zielsetzung des Erwerbs des Realschulabschlusses angemeldet. Tatsächlich nahm sie am Schulunterricht nicht teil. Die Antragstellerin erhält Kindergeld in Höhe von monatlich 184,- EUR.
Der Antragsgegner ist Schlosser. Er lebt und arbeitet in China. Dort erzielt er ein monatliches Nettoentgelt in Höhe von mind. 4.855,45 EUR, von dem diverse Abzüge vorzunehmen sind. Aus seiner neuen Ehe ist die weitere Tochter M, geboren am ... 2010, hervorgegangen.
Die Mutter der Antragstellerin ist wieder verheiratet und erzielt Renteneinkünfte in Höhe von monatlich ca. 1.000,- EUR. Auch ihr Ehemann erzielt Renteneinkünfte in Höhe von monatlich ca. 1.000,- EUR.
Die Antragstellerin hat behauptet, aufgrund schwerer Depressionen mit Angstattacken nicht arbeits-, schul- oder ausbildungsfähig zu sein. Sie sei während des Schuljahres 2012/2013 erkrankt.
Erstinstanzlich hat sie die Verpflichtung des Antragsgegners begehrt, an sie Kindesunterhalt für August 2013 bis November 2013 in Höhe von 1.512,- EUR nebst Zinsen sowie ab Dezember 2013 in Höhe von monatlich 378,- EUR zu zahlen.
Dem ist der Antragsgegner entgegengetreten und hat Antragszurückweisung beantragt.
Er ist der Ansicht, ein Unterhaltsanspruch der Antragstellerin sei jedenfalls verwirkt. Bei Abschluss des Vergleichs am 27.11.2012 habe die Antragstellerin getäuscht, da sie zu keinem Zeitpunkt gewillt oder in der Lage gewesen sei, die von ihr avisierte schulische Ausbildung aufzunehmen. Bereits im September 2012 sei sie attestiert nicht mehr schulfähig gewesen, habe ihn aber erst im März 2013 über die angebliche Schulunfähigkeit informiert.
Das Familiengericht hat nach Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens den Antragsgegner antragsgemäß verpflichtet, an die Antragstellerin Kindesunterhalt für August 2013 bis November 2013 in Höhe von 1.512,- EUR nebst Zinsen und ab Dezember 2013 in Höhe von monatlich 378,- EUR zu zahlen.
Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Antragstellerin nach dem Ergebnis des Sachverständigengutachtens schul-, berufs- und arbeitsunfähig sei.
Die Kindesmutter sei zur Zahlung von Kindesunterhalt nicht leistungsfähig. Der Antragsgegner verfüge selbst nach Abzug aller von ihm vorgetragenen Belastungen über ein anrechenbares Nettoeinkommen in Höhe von mindestens 3.611,47 EUR. Nach der Einkommensgruppe vier der Düsseldorfer Tabelle belaufe sich der Bedarf der Antragstellerin auf 562,- EUR und nach Abzug des vollen Kindergeldes ergebe sich ein Unterhaltsanspruch in Höhe von monatlich 378,- EUR.
Der Anspruch sei nicht verwirkt, da die Antragstellerin zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses im Hinblick auf eine begonnene ambulante Behandlung hoffen durfte, das Schuljahr 2012/2013 erfolgreich zu absolvieren.
Hiergegen wendet sich der Antragsgegner mit der Beschwerde und begehrt weiterhin Antragszurückweisung, wobei er die vom AG vorgenommene Berechnung seines Einkommens nicht mehr rügt und sich nicht gegen die Höhe des Unterhaltsanspruchs wendet.
Die Antragstellerin verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung.
Sie behauptet, sie habe im Mai 2013 und im Mai 2014 bei dem zuständigen Amt wegen Grundsicherung vorgesprochen. Dort habe man ihr mitgeteilt, dass kein Anspruch bestehe, da sie nicht dauerhaft voll erwerbsgemindert sei.
Im Schuljahr 2012/2013 habe sie bis September 2012 die Schule besucht...