Leitsatz (amtlich)

1. Berufsunfähigkeit eines Inhabers eines Ladenlokals mit verminderter Öffnungszeit ist nicht gegeben, wenn er das Tragen schwerer Lasten und Überkopfarbeiten durch eine Umorganisation mittels Umpackens in kleinere Gebinde und angepasster Regalbestückung vermeiden kann.

2. a) Die Ablehnungsentscheidung des Versicherers bedarf in der Berufsunfähigkeitsversicherung keiner Begründung.

b) Der Versicherer ist deshalb nicht mit solchen Einwendungen (hier: Fehlen bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit) präkludiert, die er in seiner Ablehnungsentscheidung nicht genannt hat, obwohl er sie kannte oder sie ihm hätten bekannt sein können.

c) Anderes gilt nur dann, wenn der Versicherer auf die Geltendmachung eines bestimmten Verweigerungsgrundes verzichtet hat. Dies ist dann nicht anzunehmen, wenn der Versicherer das Vorliegen der Berufsunfähigkeit dahingestellt sein lässt und eine abstrakte Verweisung ausspricht.

 

Verfahrensgang

LG Bochum (Urteil vom 24.03.2010; Aktenzeichen I-4 O 119/08)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 24.3.2010 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des LG Bochum wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten der Berufung.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

 

Gründe

A. Der Kläger macht ggü. der Beklagten Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung für die Zeit vom 1.1.2007 bis zum 31.10.2020 geltend, weil er seinen Beruf als selbständiger Einzelhandelskaufmann (Bio-Laden mit eingeschränkter Öffnungszeit) nicht mehr ausüben könne.

Die durch Versicherungsschein der damals als S R firmierenden Beklagten vom 2.12.1991 policierte Kapitalversicherung auf den Todes- und Erlebensfall sah den Einschluss einer Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung sowie eine Zusatzversicherung für Tod nach Unfall vor. In der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung nach Tarif 30 war neben einer Beitragsbefreiung eine jährliche Rente von 30.000 DM vereinbart. Einbezogen waren die "Ergänzenden Bestimmungen betreffend Zusatzversicherung für Berufsunfähigkeit" (Anlage K 3 = Bl. 20 ff. d.A.) sowie u.a. die "Besonderen Vereinbarungen Nr. 102", in der es heißt, dass § 21 der "Ergänzenden Bestimmungen" dahin gehend modifiziert werde, dass dann, wenn der Versicherte zumindest 50 % berufsunfähig sei, die im Vertrag für vollständige Berufsunfähigkeit festgesetzten Leistungen gewährt würden; bei teilweiser Berufsunfähigkeit von weniger als 50 % sollten keine Ansprüche des Klägers bestehen.

Der Kläger war zunächst von 1979 bis 1994 als selbständiger Schreiner, sodann von 1996 bis 2003 als angestellter Einzelhandelskaufmann und von Oktober 2003 bis 2006 als selbständiger Einzelhandelskaufmann mit einem Verkaufsladen von 80 m2 Größe und 60 m2 Lager tätig.

Nachdem der Kläger mit Schreiben vom 27.12.2006 (Anlage K 4 = Bl. 22 d.A.) der Beklagten angezeigt hatte, dass er seit dem 26.6.2006 ununterbrochen krank geschrieben sei, teilte die Beklagte mit Schreiben vom 12.9.2007 (Anlage K 5 = Bl. 23 d.A.) mit, dass es nicht allein darauf ankomme, inwieweit der Kläger seinen konkret zuletzt ausgeübten Beruf nicht mehr ausüben könne, sondern auch, inwieweit noch eine andere vergleichbare Tätigkeit ausgeübt werden könne; der Kläger könne den abstrakten Verweisungsberuf als Küchenfachberater ausüben.

Mit seiner Klage hat der Kläger für die Zeit ab dem 1.1.2007 Rentenzahlung und Beitragsfreistellung verlangt.

Wegen des erstinstanzlichen Vortrags der Parteien und wegen der gestellten Anträge wird auf das Urteil des LG Bezug genommen.

Das LG hat die Klage aus im Wesentlichen folgenden Gründen abgewiesen:

Nach dem Ergebnis des Gutachtens der Sachverständigen Dr. M sei der Kläger seit Frühjahr 2007 an einer Tätigkeit als selbständiger Einzelhandelskaufmann nur im Umfang von 20 bis 30 % gehindert. Akut bestünden beim Kläger keine objektivierbaren Leistungs- oder Funktionsbeeinträchtigungen. Auch im Zeitraum Frühjahr 2007 sei der Kläger in der Lage gewesen, die von ihm als beschwerdeträchtig geschilderten Über-Kopf-Arbeiten, Hebe- und Tragebelastungen allein auszuführen. Denn es sei ihm möglich gewesen, diese Tätigkeiten durch ein zeitliches Auseinanderziehen oder Verteilen der an einem Tag bzw. innerhalb einer Woche anfallenden Über-Kopf-Arbeiten, Hebe- und Tragebelastungen allein zu bewältigen. Die das Berufsbild des Klägers prägende Tätigkeit bestehe nicht aus Über-Kopf-Arbeiten, Hebe- und Tragebelastungen. Da die Anwendung des Maßstabs der Arbeitszeit nicht ausgeschlossen gewesen sei, habe für die Einholung eines Berufsbildgutachtens keine Veranlassung bestanden.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers.

Das LG habe nicht berücksichtigt, dass die Beklagte mit ihrer Einwendung, der Kläger sei nicht berufsunfähig, präkludiert sei. Es sei dem Versicherer nicht zugelassen, nach Ja...

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